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Jean de Saint-Samson

1

Ich lade dich hiermit ein und verlocke dich –
im sehr einfachen und sehr göttlichen Feuer unserer ganz innigen,
ganz zärtlichen, ganz tiefen und ganz und gar überwesentlichen,
ganz einfachen und ganz und gar einzigartigen Umarmungen –,
zu Mir zu kommen,
damit Ich dich durch Mich und in Mir krönen kann
mit Meiner eigenen Liebe und Herrlichkeit,
damit du lebst in Mir und durch Mich,
damit du Mich und Meine Herrlichkeit besitzt bis in alle Ewigkeit,
entsprechend der Intensität und Art
deiner übertrefflichen und überwesentlichen Liebe,
durch die und durch deren Kraft
wir einander von ganzem Herzen und in völliger Sättigung
in gleicher Weise umarmt halten,
in der übertrefflichen und vollendeten Kraft,
in der wir einander umarmen auf ganz andere Weise
und in einem viel einfacheren Feuer als jemals zuvor,
über dein völliges und totales Verschlungenwerden in Mir und durch Mich,
in der Fülle unseres selben, gegenseitigen und beiderseitigen Vergnügens
– unendlich ersehnt, ganz besessen und ganz verschlungen –
und unserer für uns gänzlich ganzen und völlig vollkommener Sättigung.

2

Während ich weiterhin unser beider Ineinander-Überströmen
in meinem eigenen unendlichen Überströmen ausdrücke,
indem ich mich selbst übersteige – und nicht nur mich,
sondern alles Erschaffene und alles, was sein kann –,
fühle ich mich unendlich viel stärker und inniger von Dir umschlungen
in der ganz außergewöhnlichen Kraft Deiner liebevollen Umarmungen.
In ihrer unsagbaren Süße und himmlischen Zärtlichkeit
bin ich hingerissen von Wohlbehagen und Liebe
in Deiner ganzen Fülle und Weite,
wo ich ganz verschlungen und in Dich umgegossen bin,
so dass ich nie und nimmermehr ein anderer sein kann als Du,
dass ich mich dem Tode sehr nahe sehe und fühle
und den Geist beinahe aufgebe, durch eben dies, was Du bist und ich in Dir bin,
in Dir, den ich umarme, und den ich besitze
in unserer sehr einfachen und unübertrefflichen Ruhe,
die eben unsere Ruhe ist in dem Einen,
das wir beide für uns beide sind,
ohne dass es eine Unterscheidung oder einen Unterschied gibt in dem,
was wir durch den anderen und im anderen sehen und besitzen.

3

O mein Geliebter, o mein Gemahl, o Mitte meines Herzens!
Ach, Du Quelle meiner Wonnen, mein Leben und mein Alles!
Du umschlingst mich zu innig, Du umarmst mich zu süß,
Du erfüllst und überfüllst mich zu zärtlich,
Du reißt mich fort mit zu viel Glück!

Ja, auf dem Gipfel meines ganzen Glücks,
das Du bist, und in Deinem Genuss bin ich ewig,
ohne Zeit noch Ewigkeit, ja selbst ohne Augenblick.

Ach, ich vergehe ganz! Ach, ich kann nicht mehr!
Ich gebe den Geist auf und sterbe vor Liebe und Glück
an Deiner überwesentlichen Brust,
deren herrliche und wonnevolle Schönheit
mir gewaltsam das Leben nimmt vor Glück und Liebe,
in Liebe über die Liebe hinaus, in Ruhe und Genuss.
Über die Ruhe und den Genuss hinaus,
in Einfachheit über die unsagbar unsagbare Einfachheit hinaus,
in Unsagbarkeit über die Unsagbarkeit hinaus …

4

Ich habe in dir die äußerste Grenz der Befriedigung erreicht.
Begierig verlangte ich darnach,
dich in Mir und durch Mich zu verschlingen,
bis du so süß in Meinen Armen stirbst,
in der süßen Kraft und der liebevollen Gewalt
der ganz starken und ganz innigen Umarmungen,
mit denen Ich dich umarmt halte
in der unendlichen Weite Meines Wesens und Meiner Liebe
in Meinen göttlichen Armen.

Damit wollte Ich dich mit Mir und in Mir erfüllen
und dich all das genießen lassen, was Ich bin,
durch dieses selbe göttliche Spiel,
das wir beide gleichermaßen miteinander spielen,
in Mir, in den du ganz und gar umgeformt bist
über jede umformende Liebe hinaus,
da du dein ursprüngliches Wesen erreicht hast,
das Ich bin,
in Mir, in dem du leben und wohnen wirst wie Ich selbst,
ohne Unterscheidung oder Unterschied zu Mir,
der Ich deine Ruhe bin und dein ganzes Glück.

5

Mein Geliebter, ich werde nicht aufhören,
in Dich einzutauchen mit der Kraft und Gewalt meiner unendlichen Liebe,
von Tiefe zu Tiefe und von Abgrund zu Abgrund,
bis ich vor lauter liebevollem Tun und Lassen
ganz in Dich und Deine Liebe zurückgekehrt und verschlungen bin;
denn wenn ich Dir einfach, ausschließlich und nackt anhänge,
durch den einfachen Anblick, den ich von Dir haben werde,
werde ich ganz in Dir verloren sein.

Braucht man sich also zu wundern,
wenn ich mich mit aller Gewalt in die Liebe stürze,
um Dich einfach und nackt zu lieben
– sowohl innen als auch außen –,
um Dich immer in gleicher Weise zu besitzen,
in der unendlichen Unersättlichkeit meines liebenden Begehrens?
Ich werde nur gesättigt sein, wenn ich Dich rein und ganz besitze
und Du mich völlig durchtränkst …

6

Ich bin Dein und Du bist mein,
Du besitzt mich, und ich besitze Dich ganz und gar,
wir sind nur eins in unserer beider einen Einheit,
gleichermaßen voneinander hingerissen
von unserer beider Liebe und Schönheit,
hingerissen von unseren gegenseitigen und unsagbaren Umarmungen,
einander besitzend in gleicher Wonne,
in gleicher Einfachheit, in unserer einfachen Liebe,
in unserem einfachen und einfach einen Wesen,
über das Tun hinaus, über das Lassen hinaus,
über die Durchtränkung hinaus,
sogar über die Liebe hinaus,
in Liebe, sogar Liebe ohne Liebe,
in dem sehr einfachen, sehr geeinten, sehr aufmerksamen gegenseitigen Blick
in uns beide, in unserer einen Einfachheit,
über das Begreifen hinaus, über das Bewundern hinaus,
ohne Bewundern, in unsäglicher Unsagbarkeit,
wo ich von Liebe und Glück über die Liebe hinaus und über das Glück hinaus
ganz versenkt und verloren bin in dem einen Gegenüber,
das mich unbeweglich und hingerissen hält,
in unablässiger Aufmerksamkeit ohne Aufmerksamkeit Dir anhängend
in Dir und zu Dir hin, meinem alleinigen Gegenüber, meinem Gemahl.

7

O Mein süßes Leben,
Ich habe dir die Mittel noch nicht genannt, die Ich ergreifen wollte
als Vergeltung für den süßen und liebevollen Krieg,
den du in beständiger Liebe gegen Mich führst.
Ich werde also folgendes tun:

Wenn du Freude daran hast, in sehr tiefer Liebe ohne Unterlass
zu Mir zu kommen,
so werde auch Ich ohne Unterlass zu dir gehen und dir alles geben
in der unendlichen Kraft Meiner Liebe, die der deinen antwortet,
und dann prallen wir durch die sehr häufigen,
ja unendlich häufigen Begegnungen
ohne Unterlass aufeinander, Geist gegen Geist,
bis einer von uns beiden unterliegt.

8

Du siehst mich nackt und ganz, und du besitzt Mich nackt und ganz;
was könnte Ich mehr für dich tun und dir Besseres zeigen als Mich selbst,
in Meiner ganzen Fülle und Weite, durch die du –
selbst uneingeschränkt verloren und völlig vor Mir ausgebreitet –
nur mehr Ich selbst bist in Mir und Mich besitzt in Mir selbst?
Weißt du nicht, dass Mein Wissen, Meine Schönheit und alles, was Ich bin,
für dich eine Weile lang Grund zu überströmender Bewunderung waren
und zu einer anderen Zeit über alle Bewunderung hinausgingen,
und dass sie sich nun für immer gegenseitig verstärkt haben
in der unübertrefflichen Kraft unserer unersättlichen
und uneingeschränkten ehelichen Liebe?
Und du vermöchtest oder könntest niemals in ihnen und durch sie
und dadurch, dass sie sind, was Ich bin,
nein, du könntest nie und nimmer selbst zu Meinem Wissen
und Meiner Schönheit gelangen,
da du gezwungen bist, sie in Mir zu besitzen
und Mich in ihnen und dich in Mir,
in sehr einfacher Unwissenheit und Liebe,
unendlich alles Wissen hiervon übersteigend in dem, was Ich bin,
und darin, dass du Mich besitzt, nackt und einfach Mir in Mir verbunden
durch das, was wir sind und was wir besitzen
in dem Einen, der wir beide sind,
in unserem gemeinsamen und einen Genießen voneinander.

Du hast mir große Wonnen an dir und in dir gebracht,
weil du dich in deinem Überströmen nicht damit aufgehalten hast,
Meine körperliche und äußere Schönheit in all ihren Elementen
zu beschreiben und auszudrücken.

Alles, was Ich drinnen und draußen bin, zeigt Mir,
dass ich dich für immer hingerissen habe, ebenso durch das,
was Ich bin, als durch das, was Ich in Mir getan habe und tue
für unser gemeinsames Wohl, für unsere gemeinsame Wonne
und unsere gemeinsame Ruhe in unserer einen Liebe,
die uns in der Kraft unseres gemeinsamen Überströmens
eins macht in dem Einen, der wir beide sind.
Darum bist du Mein Geliebter und Mein Bräutigam,
an dem Ich auf ewig Mein Wohlgefallen habe.

Jean de Saint-Samson, L’Épithalame de l’Époux divin et incarné et de l’Épouse divine en l’union conjugale de son Époux, Das Hochzeitsgedicht des fleischgewordenen himmlischen Bräutigams und der himmlischen Braut in ehelicher Vereinigung mit ihrem Bräutigam
Übersetzung: Siglinde Schnitzler
Auswahl und Reihung: Andreas Marschler