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Walther Rathenau

1

Wenn Sie glauben, dass das Leben Ihnen ein eigenes Glück versagt, so ist Ihnen dadurch die Aufgabe zugewiesen, andere glücklich zu machen.

2

Ich weiß, dass Sie leiden und fühle Ihr Leiden mit Ihnen. Seien Sie gütig gegen dies Leiden, es wird gegen Sie gütig sein. Durch Wünsche mehrt es sich und durch Unwillen; durch Milde schläft es ein wie ein Kind.

Sie haben so viel Liebe in sich; wenden Sie alles den Menschen zu, den Kindern, den Dingen, selbst Ihnen und Ihren Schmerzen. Seien Sie nicht einsam; wollen Sie es nicht sein; überwinden Sie das Hemmnis, blicken Sie ihm ins Auge; es ist nichts.

Seitdem ich aufgehört habe, mich und mein Dasein wichtig zu nehmen, einfach weil es mir gar nicht gehört und seine Dienste der Gemeinschaft anzutragen hat, hat sich etwas in meinem Verhältnis zu Menschen geändert. Ich fühle, dass ich jedem zu dienen habe, und da ich keinem richtig dienen kann, so versuche ich allen zu dienen.

3

Sie wollen meine Nähe, meine Berührung, einen Teil von mir selbst – wie gerne gäbe ich Ihnen das! Doch ich gehöre ja nicht mehr mir selbst, ich habe mich weggegeben, es bleibt mir nichts, kaum eine Stunde der Ruhe, kaum der Schlaf – ich bin nur noch ein Fremder, der gekommen ist, um sich auszugeben, und ich werde nicht länger leben, als bis ich mich ausgegeben habe. In eigenem Leben ertrüge ich die Zeit nicht, ertrüge ich nicht das Maß von Hass und Feindschaft, das auf meinen Schultern liegt; ich ertrage es, weil ich keinen eigenen Willen, keine Heimstätte, kein eigenes Leben mehr habe, sondern da bin wie ein Mensch in einem Panzerturm, der seinen Befehl hat und ein Geschütz bedient.

Sie wollen für mich da sein! Das fühle ich mit Dankbarkeit. Es hat noch nie ein Mensch für mich da sein wollen, Sie sind der Erste. Alle wollten, ich solle für sie da sein, und das war natürlich, denn ich bin, soweit meine Kräfte reichen, für alle da, freilich in einem anderen Sinne als die Menschen es wünschten, denn sie wollten, genau genommen, gar nicht mich, sondern Dinge, die lose mit mir zusammenhängen, Anregung, Unterhaltung, Gedanken, Handlungen, mich selbst wollten Sie nicht, sie lehnten mich ab.

Wenn Sie für mich da sein wollen, so können Sie es nur, indem Sie für sich da sind, nicht im gemeinen Sinne, sondern für die Kräfte, die Ihnen gegeben sind.

4

Warum wollen Sie mich anders haben? Alles hängt mit allem zusammen, man ändert nicht den Teil, ohne dass das Ganze sich ändert. Wäre ich anders, so wäre ich – ganz anders.

Denken Sie doch einen Augenblick nach, warum Sie mich anders wollen. Sie werden erstaunen, wenn Sie die Frage rücksichtslos beantworten. Sie werden finden, wie weit und seltsam ihre Wurzeln sind.

5

Alles kommt darauf an, dass Sie sich irgendeinen Gegenstand des Interesses oder der Neigung schaffen – sei er so klein oder so groß er wolle –, an dem oder für den Sie wirken können. Lassen Sie die Wirkung stark oder schwach, still oder bewegt sein, jeder Gegenstand ist recht, jede Beziehung hinlänglich. Wir sind nicht geschaffen um unseretwillen, nicht um in uns oder in unseren Gefühlen aufzugehen, sondern um aus uns herauszutreten und Hand anzulegen – wo es fehlt. Irgendwo fehlt unsere Hilfe, gerade die unsere, und wir sollen den Posten finden und nicht verlassen, wo sie fehlt. Wir finden ihn; es genügt zu wollen und bereit zu sein; ja es genügt schon, nicht zu fliehen und sich nicht aufzulehnen. In jedem Augenblick strecken sich Hände suchend nach uns aus, Hände der Menschen und Hände der Dinge.

Wie schön ist es, eine suchende Hand zu ergreifen, wie hart, sich zu verhüllen, sich zu entziehen, sie wegzustoßen. Ich fühle, Sie sind von Händen umgeben, die auf Sie warten, die empfangen und danken wollen.

Die schönste Botschaft, die mir von Ihnen kommen könnte, wäre, dass Sie eine suchende Hand aus eigener Neigung ergriffen haben, dass irgendein Schaffen Sie fesselt, dass irgendein Gegenstand außerhalb Ihres Eigenkreises Ihnen genüge.

6

Ich weiß sehr wohl, dass alle Materie zehrt, doch sie erwidert Liebe, und durch ihre Begrenzung hindert sie, dass man sich verliert. Die Welt des Gedankens und der Fantasie ist gefährlicher, denen sie ist ungemessen; sie verlangt, das man sich ein Objekt als Ambos schaffe, sonst gehen die Schläge in die Luft, und Menschen und Hammer wirbeln in den Abgrund.

7

Vereinigung gibt es nur im Bereich der Sinne und auch die ist flüchtige Täuschung. Die Seelen aber stürzen hintereinander her wie die bewegten Sterne und können doch ihre Bahn nicht verlassen und begegnen sich nicht. Geschähe es, so wäre es ein Sturz in die Sonne, Verdampfung in Atome.

Seien Sie nicht traurig um Klaus, er selbst ist ruhelos, ein kühler Mond, der nicht um Sonnen, sondern um Planeten kreist, halb beschienen, im Wechsel leuchtend und ohne Wärme. Sie können sich an ihm freuen, doch nicht ihn heranziehen.

Für Ihr Herz gibt es nur eines: die zu beschenken, die Ihrer bedürfen. Die Menschen sind so viel ärmer, als sie wissen, und gar jedes Kind, meine ich, bedarf Ihrer. Wenn wir am schwersten leiden, so wird uns damit gesagt, dass wir uns nicht genug vergessen und anderer nicht genug gedacht haben. Unser Echo auf Begehren heißt Entbehren. Wenn Sie doch fühlten, wie groß die Sendung derer ist, die nicht von Erfüllung gesättigt werden dürfen! Wir verschenken uns nicht, wenn wir uns an unsere Wünsche verschenken; an die Wünsche und Bedürftigkeit der anderen sollen wir uns verschenken.

8

Glauben Sie mir, es ist nicht recht, dass Sie so völlig sich leidenschaftlichen Gefühlen hingeben. Es muss Dinge und Menschen geben, die außerhalb Ihrer Gefühlssphäre stehen und es verdienen, dass Sie ihnen etwas von Ihren Kräften zuwenden. Es ist keinem von uns gestattet, auf die Welt zu verzichten und den Kampf um Glück in unserer Eigensphäre zu kämpfen. Wenn Sie etwas für mich tun wollen, so tun Sie dies: Schaffen Sie sich eine noch so kleine, noch so gleichgültige Sphäre des Wirkens außerhalb des Eigenbezirks – sie wird Ihnen bald nicht mehr gleichgültig sein. Nähern Sie sich Menschen; je mehr Sie glauben, des Mitgefühls bedürftig zu sein, desto mehr haben Sie Mitgefühl mit anderen. Ihre Natur ist stärker, als Sie glauben; Ihre Begabung ist es; die Menschen bedürfen Ihrer mehr als Sie wissen, mehr als jene selbst es wissen.

Es ist das Eine, das Sie für mich tun können, das Eine, um das ich Sie bitte und Sie bitten werde: Geben Sie Ihrem Leben einen Inhalt außerhalb Ihrer selbst und der Sphäre Ihres leidenschaftlichen Fühlens.

9

„Um einen Menschen kämpfen“ – darin liegt das Unauflösbare. Das Wort stammt aus einer Sphäre, die nicht die unsere ist. Kämpfen kann man nur in sich. Aller Kampf nach außen, um den Besitz des Objekts, steht auf andrer Stufe. Ich bin verantwortlich dafür, dass die Sphären gesondert bleiben. Sonst entsteht Verwirrung, an der ich mitschuldig, wo nicht hauptschuldig wäre.

Das Geringe, das ich Ihnen sein darf – und wenigen außer Ihnen –, war ich vom ersten Augenblick, und das bleibt Ihnen erhalten. Was ich nicht sein darf, bin ich auch anderen nicht. Um jenes Geringe hatten Sie nicht zu kämpfen. Ist es Ihnen beschieden, dass die Sphären des Gefühls sich sondern, so darf ich vor Ihnen schwächer sein.

Ich weiß nicht, ob Sie mir folgen. Vielleicht sollte ich schweigen. Die Schleier des Künftigen sind zart, Worte haben grobe Finger.

10

Seien Sie nicht so gewaltsam. Wollen Sie nicht alles erzwingen. Sie können nichts im Leben erzwingen – die Dinge sind hart wie Stein, wenn Sie dagegenschlagen, – sie sind weich wie ein Kind, wenn Sie die Hand darauflegen. Legen Sie eine weiche Hand darauf. Man muss nicht so ungeduldig sein, sondern die Dinge sich setzen und zur Ruhe kommen lassen. Man muss sich überhaupt nicht so in die Rechnung stellen. – Tun Sie das, was in Ihnen getan werden will. Abgenommen wird es Ihnen schon werden.

11

Es gibt in jedem Schaffen zwei Formen: Rezeption und Produktion. Sie sind jetzt im Stadium der Rezeption. Lassen Sie in Ruhe, ohne Ungeduld in sich wachsen, was da werden will.

12

Wenn Sie wirklich überzeugt sind, dass es nichts auf der Welt zu fürchten gibt und dass es keine Dinge zu begehren gibt, so müssen Sie zu einem neuen Leben, zu sich selbst hindurchfinden. Ich weiß ja, was Ihnen so furchtbare Not macht: Das Ding hier ist ein bisschen zu gewaltig in Ihnen. Ich habe das auch gekannt, habe fast körperlich unter der Wildheit meines Herzens gelitten, das mir den Atem raubte. Es ist vorübergegangen …

13

Sie können nicht für mich da sein, wie junge Mädchen gewöhnlich für geliebte Menschen da sind, indem Sie für mich arbeiten, mich pflegen, sich für mich opfern. Aber Sie müssen die geistigen Dinge nicht so eng fassen, sie nicht nur von dieser einen Seite betrachten. Denken Sie, wir lebten auf einem anderen Planeten – wir leben auf einem anderen Planeten! Da ist es möglich, dass einer für den anderen da ist ohne leibliche Gegenwart, ohne die Hand zu rühren, – nur durch sein Dasein. Sehen Sie diese Rose: Sie ist für mich da. Sie will nichts von mir, aber sie ist da. Ich will nichts von ihr, will nicht einmal, dass sie duftet. Und sie tut es sogar.

14

Menschen, die einem Werk ganz hingegeben sind, die ganz ihrer Sendung gehorchen, können sich niemals an ein geliebtes Wesen binden. Sie würden dabei zergehen, sich auflösen, rastlos werden und an allen Orten nach ihrer ehemals zusammengeballten Kraft und Tat suchen. Goethe hat im Alter leidenschaftlich Ulrike von Levetzow geliebt. Es wäre ein Wahnsinn geworden, sie zu heiraten. Nicht, weil er ein Greis und sie ein junges Mädchen war, sondern weil er sich verloren hätte.

15

Sehen Sie den Weg? Ich sehe nichts, ich gehe nur. Solange man hart geht, ist man auf dem Weg.

16

Sie wollen den Menschen von oben herab, von außen, durch Institutionen ändern und durch diesen gewandelten Menschen die Welttat suchen. Sie vergessen, dass der Erdball außen Granit und unformbar ist, dass er nach innen hin immer bildsamer und im Mittelpunkt Gas wird. – Das Innere lässt sich von Meisterhand formen und umbilden. Im letzten Punkt der Seele ist jeder angreifbar.

17

Der Prophet, den Sie erst nach Ihrem Bilde umformen müssen, ist gar keiner. Das ist das Einzige, was bei einem Führer keine Frage verträgt. Sie müssen ihm als Persönlichkeit unbedingt folgen und ihm untertan sein. Alles andere kann in Frage gestellt werden, z. B., ob es nicht ein großer Schurke ist.

18

Wir müssen gegen jede Forderung eine Gabe setzen, gegen jedes Sehnen eine Mitteilung an andere, gegen jeden persönlichen Wunsch eine Hingaben an die Menschheit – ohne Aufgabe des eigenen Lebens..

19

Solch eine Liebe, wie Sie verlangen, gibt es gar nicht. – Zwischen den Menschen, die kein Wesen glücklich machen, und solchen, die nur der kleinsten Kreatur wohl tun, ist ein größerer Unterschied als zwischen Bettler und Millionär. – Wir dürfen keine persönlichen Ansprüche an die Menschen stellen, sondern müssen jeden gelten lassen, wie er ist. Wenn einer nur Lust am Kegelschieben oder Pferderennen hat, so ist das traurig; ich muss ihn bedauern. Aber ich darf ihn nicht verachten oder gering schätzen. Wir können nichts tun, als ihm geben, was wir für gut erkannt haben, ohne Aufzwingen, – nur aus dem Willen heraus, ihn glücklich zu machen.

20

Gehen Sie nicht so gewaltsam mit dem Schicksal um. Und ziehen Sie die äußeren Dinge nicht in das Innere hinein. – Sie hängen nicht sehr am Leben, – ich hänge nicht sehr am Leben. Wozu sollte man sehr am Leben hängen? Wenn man nicht sehr am Leben hängt, weshalb soll man die äußeren Dinge so wichtig nehmen? Sie sind nicht wert, dass man sich mit ihnen quält.

21

Die Zeit, da Liebe sich ans Persönliche richtet, da man sich leidenschaftlich mit allen Herzenskräften und mit allen Adern einem Menschen ergibt, ist für mich vorbei. Die Zeit eines solchen Attachements geht für jeden vorüber. Auch ich habe mit aller Seelenkraft nach einem Menschen gesucht, dem ich mein Leben hätte darbringen mögen. Aber ich habe ihn nicht gefunden. Auch unter den Männern nicht.

Walther Rathenau, Briefe an eine Liebende [enthaltend Lore Karrenbrocks Aufzeichnungen über Gespräche mit Walther Rathenau], Carl Reißner Verlag, Dresden 1931