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Liä Dsi

1

Wer sich dem Schicksal überlässt, für den gibt es kein hohes Alter und kein frühes Sterben. Wer sich der Notwendigkeit überlässt, für den gibt es kein Recht und Unrecht. Wer sich seinem Gefühl überlässt, für den gibt es kein Widerstreben oder Folgen. Wer sich der Natur überlässt, für den gibt es nicht Ruhe noch Gefahr. Von dem kann man sagen, dass er an nichts glaubt und an alles glaubt. Der hat die Wahrheit unverfälscht. Wozu gehen? Wozu kommen? Wozu traurig sein? Wozu fröhlich sein? Wozu handeln? Wozu nicht handeln?

2

Nichts kommt der Stille, nichts der Leere gleich. Durch Stille, durch Leere findet man die Heimat, durch Nehmen und Geben verliert man seinen Ort. Wenn eine Sache verdorben und zerstört ist, und man fuchtelt nachher herum mit Liebe und Pflicht, so kann man sie nicht wieder gut machen.“

3

Nach neun Jahren, da machte ich einen Strich durch die Gedanken meines Herzens und die Worte meines Mundes. Ich wusste nicht mehr, ob es sich um mein Recht und Unrecht, um meinen Vorteil und Nachteil handelt oder um die von andern. Noch wusste ich mehr, dass der Meister mein Lehrer war, oder jener andere mein Freund. Der Unterschied von Ich und Nicht-Ich war zu Ende. Danach hörten auch die Unterschiede der fünf Sinne auf, alle wurden sie einander gleich. Da verdichteten sich die Gedanken, der Leib ward frei, Fleisch und Bein lösten sich auf, ich hatte keine Empfindung mehr davon, worauf der Leib sich stützte, wohin der Fuß trat: Ich folgte dem Wind nach Osten und Westen wie ein Baumblatt oder trockene Spreu, und wirklich weiß ich nicht, ob der Wind mich trieb oder ich den Wind.

4

Unfassbar, ohne Grenzen,
trifft aus sich selbst des Himmels Sinn das Ziel.
Unendlich, ohne Teile,
schließt aus sich selbst des Himmels Sinn den Kreis.
Sichtbares und Unsichtbares können nicht dagegen,
Heilige und Weise können nichts dazu,
Geister und Teufel können nicht entwischen.
Das auf sich selbst Beruhende
stillet, wirket,
ebnet, sänftigt,
leitet, wartet.

Liä Dsi, Das wahre Buch vom quellenden Urgrund, Übersetzung Richard Wilhelm, Eugen Diederichs Verlag, München 1967
1  Buch VI, Kapitel 8
2  Buch I, Kapitel 9
3  Buch II, Kapitel 3
4  Buch VI, Kapitel 5