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Bettina von Arnim

1

Es bewegt mich tief, dass Du bist; in diese sinnliche Welt geboren bist; dass Deine sinnliche Erscheinung Zeugnis gibt von der Ahnung, von der Offenbarung, die ich von Dir habe.

2

Wie wohl ist mir, wenn ich ganz wie ein Kind in Deiner Gegenwart spielen darf; wenn alles, was ich beginne, von dem Gefühl Deiner Nähe geheiligt ist; und dass ich mich ergehen kann in Deiner Natur, die keiner kennt, keiner ahnt.

3

Namen nennen Dich nicht! Ich schweige und nenne Dich nicht, ob’s auch süß wär’, Dich bei Namen zu rufen. O Freund!, schlanker Mann!, weicher hingegossner Gebärde, Schweigsamer! Deinen Namen berühre ich nicht! So ganz entblößt von irdischem Besitztum nenne ich Dich mein.

4

Wo ist denn der Ruhesitz der Seele? Wo fühlt sie sich beschwichtigt genug, um zu atmen und sich zu besinnen? Im engen Raum ist’s, im Busen des Freundes. – In Dir heimatlich sein, das führt zur Besinnung.

5

Das Bewusstsein von Dir verzehrt mir jede Regung; ich kann nicht lächeln zum Scherz, ich kann nicht mich freuen, ich kann nicht hoffen mit den andern. Dass ich Dich kenne, dass ich Dich weiß, macht meine Sinne so still.

6

Ich habe den Glauben an eine Offenbarung des Geistes. Sie liegt nicht im Gefühl, im Schauen oder im Vernehmen. Sie bricht hervor aus der Gesamtheit der auffassenden Organe. Wenn die alle der Liebe dienen, dann offenbaren sie das Geliebte. Sie sind der Spiegel der inneren Welt.

7

Dir geh ich nach auf einsamen Wegen. Wenn’s still und ruhig ist, dann lispelt jedes Blatt von Dir, das vom Wind gehoben wird, da lasse ich meine Gedanken still stehen und lausche, da breiten sich die Sinne aus wie ein Netz, um Dich zu fangen. Da streif ich hin zwischen Hecken, ich dräng mich durchs Gebüsch, die Sonne brennt, ich leg mich ins Gras, ich bin nicht müde. Es zieht mich hinüber nur Augenblicke, es hebt mich zu Dir, den ich nicht mit Menschen vergleiche.

Mit den Streiflichtern und ihren blauen Schatten, mit den Nebelwolken, die am Berg hinziehen, mit dem Vögelgeräusch im Wald, mit den Wassern, die zwischen Gestein plätschern, mit dem Wind, der dem Sonnenlicht die belaubten Äste zuwiegt; mit diesem vergleich ich Dich gern, da ist’s, als wenn Deine Laune hervorbräche.

Das Summen der Bienen, das Schwärmen der Käfer trägt mir Deine Nähe zu, ja selbst das ferne Gebell der Hunde im Nachtwind weckt mir Ahnungen von Dir. Wenn die Wolken mit dem Mond spielen, wenn sie im Licht schwimmen, verklärt: Da ist alles Geist, und er ist deutlich aus Deiner Brust gehaucht. Da ist’s, als wendest Du Geist Dich mir entgegen und wärst zufrieden, von dem Atem der Liebe wie auf Wellen getragen zu sein.

8

Die ganze Natur ist nur Symbol des Geistes; sie ist heilig, weil sie ihn ausspricht. Der Mensch lernt durch sie den eignen Geist kennen, dass der auch der Liebe bedarf; dass er sich ansaugen will an den Geist, wie seine Lippe an den Mund des Geliebten.

Wenn ich Dich auch hätte, und ich hätte Deinen Geist nicht, dass der mich empfände, gewiss das würde mich nie zu dem ersehnten Ziel meines Verlangens bringen.

9

Jeder Mensch ist ein solches Rätsel, dass es die Aufgabe der Liebe ist zwischen Freunden, das Rätsel aufzulösen, so dass ein jeder seine tiefere Natur durch und in dem Freund kennen lerne. Ja, Liebster, das macht mich glücklich, dass sich allmählich mein Leben durch Dich entwickelt, drum möchte ich auch nicht falsch sein, lieber möchte ich’s dulden, dass alle Fehler und Schwächen von Dir gewusst wären, als Dir einen falschen Begriff von mir zu geben; weil dann Deine Liebe nicht mit mir beschäftigt sein würde, sondern mit einem Wahnbild, was ich Dir statt meiner untergeschoben hätte.

10

Was kann ich vor Dir, als nur Dein geistig Bild in mich aufnehmen?

Ja sieh, das ist mein Tagwerk, und was ich anders noch beginne – es muss alles vor Dir weichen. Dir im Verborgnen dienen in meinem Denken, in meinem Treiben, Dir leben, mitten im Gewühl der Menschen oder in der Einsamkeit Dir gleich nahe stehen; eine heilige Richtung zu Dir haben, ungestört, ob Du mich aufnimmst oder verleugnest.

11

Zum Tempeldienst bin ich geboren. Wo mir nicht die Luft des Heiligtums heimatlich entgegenweht, da fühl ich mich unsicher, als hab ich mich verirrt.

Du bist mein Tempel. Wenn ich mit Dir sein will, reinige ich mich von der alltäglichen Bedrängnis wie einer, der Feierkleider anlegt. So bist Du der Eingang zu meiner Religion.

12

Du bist mir Element, und ich kann die Flügel regen in Dir. Und das ist das einzige Erkennen, das einzige Empfinden, das einzige Haben.

13

Ich hab Dich nicht in diesem äußeren Leben; andere rühmen sich Deiner Treue, Deines Vertrauens, Deiner Hingebung; ergehen sich mit Dir im Labyrinth Deiner Brust; die Deines Besitzes gewiss sind, die Deiner Lust genügen.

Ich bin nichts, ich habe nichts, dessen Du begehrst; kein Morgen weckt Dich, um nach mir zu fragen; kein Abend leitet Dich heim zu mir; Du bist nicht bei mir daheim.

Aber Vertrauen und Hingebung hab ich in dieser Innenwelt zu Dir. Alle wunderbaren Wege meines Geistes führen zu Dir; ja sie sind durch Deine Vermittlung gebahnt.

14

Die wahre Liebe ist keiner Untreue fähig. Sie sucht den Geliebten unter jeglicher Verwandlung.

15

Die Liebe ist ein inniges Ineinandersein. Ich bin nicht von Dir getrennt, wenn es wahr ist, dass ich liebe.

16

Wie weit geht Liebe? Sie entfaltet ihre Fahnen, sie erobert ihre Reiche im Freudejauchzen, im Siegestoben eilt sie ihrem ewigen Erzeuger zu. So weit geht Liebe, dass sie eingeht, von wo sie ausgegangen ist.

17

Wo zwei ineinander übergehen, da hebt sich die Grenze des Endlichen zwischen ihnen auf.

Bettina von Arnim, Goethes Briefwechsel mit einem Kinde, Insel Verlag, Frankfurt 1984