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Jacopone da Todi

Liebe wird ein Baum genannt,
den gepflanzt hat Gottes Hand.

„Sprich, wie hast du ihn erstiegen,
dass ich gleicher Weise siegen
mög’ und nicht am Boden liegen,
da mich Dunkel übermannt.“

Wollt’ ich ruhn und dir es sagen,
könnte mich ein Lüftchen tragen
jäh zum Grund; noch muss ich zagen;
Sturm bedroht hier meinen Stand.

„Nicht erzählst du dein Vollbringen;
Gott allein gab das Gelingen;
kann doch keines Kraft erringen
durch sich selbst den Gnadenstand.

Gäbst du Kunde meinem Flehen,
könnt’ ich wohl dem Schmutz entgehen
und im Dienste Gottes stehen;
Rettung würde mir bekannt.“

Gott zu ehren und zu gründen
uns’re Freundschaft, will ich’s künden.
Furcht, der Feind mög’ überwinden,
hat zum Baume mich gewandt.

Wie ich ihn im Geist betrachte,
Lust zu steigen sich entfachte;
war zu Fuß und stutzt’ und dachte,
wie so maßlos hoch sein Stand.

Solche Höhe war den Zweigen,
dass dafür kein Maß mir eigen,
und am Stamme war zum Steigen
nicht ein einz’ger Ast zur Hand.

Nirgendwo konnt’ ich erspähen,
wo zur Höh’ man möchte gehen,
nur ein Zweiglein war zu sehen,
das zur Erde sich gewandt.

Nur ein Zweiglein, dünn und spärlich
und zum Steigen gar gefährlich;
doch die Demut hatt’ es klärlich
ausgeprägt für ihren Stand.

Als ich aufzusteigen dachte,
hört’ ich rufen: Sachte, sachte!
Geh’ und tu’ erst mit Bedachte
von dir schwerer Sünden Band.

Reue scheuchte das Verblendnis,
reingewaschen durch Bekenntnis,
fügt’ ich G’nugtun zum Geständnis,
wie mir Gott es zugewandt.

Wie ich mich emporbewege,
ward mir manch ein Zweifel rege,
ob für also steile Wege
reiche meiner Kraft Bestand.

Gott den Herrn bat ich aufrichtig,
helfen mög’ er mir nachsichtig;
war doch ohn’ ihn alles nichtig,
wessen ich mich unterwand.

Scholl vom Himmel eine Stimme:
Mit dem Kreuz dich segn’ und klimme
auf den Zweig, der vor dem Grimme
des Allmächt’gen Gnade fand.

Und das Kreuz hab’ ich geschlagen
und den Zweig erfasst mit Zagen;
setzte dran mein ganzes Wagen,
und zur Höh’ ward ich gesandt.

Als zur Höh’ ich war gegangen,
galt dem Rechttun mein Verlangen;
das benahm mir alles Bangen,
das zuvor mich übermannt.

Als der Aufstieg war gelungen,
hat mich keine Ruh bezwungen,
bin auf einen Zweig gesprungen,
der sich mir zur Rechten fand.

Als ich ihn erreicht mit Beben,
den ich sah zu Haupt mir schweben,
wurden Seufzer mir gegeben,
Licht, vom Bräutigam gesandt.

Darauf wandt’ ich mich zur Linken,
sah ein and’res Zweiglein blinken
und die Liebe lächelnd winken,
weil sie so mich umgewandt.

Als den Zweig ich hatt’ erstiegen,
da ergriff mich groß Vergnügen;
und die Weltnacht ließ ich liegen,
die bis dahin mich gebannt.

Wie ich aufwärts schaut’ auf’s Beste,
da erblickt’ ich noch zwei Äste;
dieser war genannt: Steh’ feste;
jener hieß: Lieb’ unverwandt.

Droben wähnt’ ich schon zu gasten,
aber Liebe ließ nicht rasten,
einen Zweig die Blicke fassten,
der ob meinem Haupte stand.

Schwang mich auf und bin geblieben;
Äpfel fand ich, die beschrieben:
Tränen; die vergoss das Lieben
um den Bräut’gam, der entschwand.

Als von dort ich fortgegangen,
sah den Zweig ich: Glutverlangen;
Liebe hielt mich dort umfangen,
die das Herz gesetzt in Brand.

Doch auch dort nicht blieb ich stehen;
Liebe drängte mich mit Wehen,
dass ich aufwärts musste gehen
auf den Zweig, der höher stand.

Musst’ auch ihn im Schwung erfassen;
dorten stand: Musst selbst dich hassen,
um dein Lieben ihm zu lassen,
der dich schuf mit seiner Hand.

Liebe zog, die Listbereite,
mich zum Zweig der andern Seite,
dass ich ihm die Blicke weihte,
der von Trübsal mich entband.

Doch es zog von dort mich jähe
auf den Zweig in größ’rer Höhe,
wo in Wonn’ ich nun vergehe,
weil ich Liebesduft empfand.

Andern Zweiges ward ich inne,
lenkt’ auf ihn mit Lust die Sinne;
dort durchfuhr mich glüh’nde Minne,
dass das Herz mir schmolz im Brand.

Da die Gluten mich erfassten,
konnt’ ich auch allda nicht rasten;
immer weiter musst’ ich hasten
auf den Zweig, der höher stand.

Liebesqual mich so durchzückte,
dass es höher mich entrückte,
wo den Bräut’gam ich erblickte,
der mit Armen mich umwand.

Als der heil’ge Zweig erstiegen,
fühlt’ ich alle Kraft erliegen
und empfand solch Wohlgenügen,
dass mein Herz ward übermannt.

Siehe, zu des Herren Preise
tat ich kund dir diese Reise;
willst du steigen, wähle weise
nun den Weg, der dir bekannt.

Willst zum Schauensbaum du lenken,
musst du nie zur Rast dich senken
und in Handeln, Reden, Denken
stets dich üben unverwandt.

Dem Geschöpf ist nicht gegeben,
höher noch sich zu erheben,
wo ob dem geschaff’nen Leben
nur des höchsten Gutes Stand.

Früchte sprossen aus zwölf Zweigen,
diese mache dir zu eigen;
kannst zu allen auf du steigen,
krönt dich höchster Gnadenstand.

Jacopone da Todi