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Meister Eckhart

Vom Wert der Gewöhnung

Es will erst gelernt sein, wie man in aller Wirksamkeit sein Inneres frei erhalte. Für einen ungeübten Menschen ist’s ungewohnte Arbeit, bis er es fertig bringt, dass keine Gesellschaft und kein Geschäft ihn hindere und Gott immer gleich gegenwärtig sei, beständig ihm leuchte in derselben Klarheit. Dazu gehören gar ein regsamer Fleiß und sonderlich zwei Dinge: Das eine, dass er sein Inneres wohl verschlossen halte, sein Gemüt gewarnt sein lasse vor der Welt der Bilder, die draußen um ihn stehen: Dass sie auch außer ihm bleiben und nicht, fremd wie sie sind, mit ihm wandeln und verkehren und so eine Stätte in ihm finden. Das andere betrifft die Vorstellungen seines Innern, seien es Bilder aus einem Aufschwung des Gemüts oder Abbilder der Außenwelt, die gerade den Gegenstand seines Bewusstseins bilden: Dass er sich in die nicht zerlasse und zerstreue, noch sich veräußere an ihre Mannigfaltigkeit. Dazu muss man seine Seelenkräfte erst erziehen und seinen inneren Stand sich immer gegenwärtig halten.

Nun möchtest du sprechen: „Der Mensch muss sich hinauskehren, soll er in der Welt etwas schaffen; zu jeder Arbeit bedarf es der genau entsprechenden Vorstellung.“

Schon wahr, aber seine Vorstellungen von der Außenwelt sind beim Geübten nichts Äußerliches. Denn alle Dinge sind dem inwendigen Menschen nur eine inwendige göttliche Bestimmtheit.

Die erste Bedingung dafür ist, dass der Mensch seine Vernunft gründlich zu Gott gewöhne; nur so wird sein Zustand dauernd ein göttlicher. Der Vernunft ist nichts so eigen und gegenwärtig und nahe wie Gott, sie mag sich anderem gar nicht zukehren. Erst wenn man ihr Gewalt und Unrecht antut, kehrt sie sich den endlichen Dingen zu, sie wird da geradezu gebrochen und verkehrt. Ist sie aber einmal verdorben in einem jungen Menschen oder überhaupt in einem, da muss man dann alle erdenkliche Sorgfalt daransetzen, um sie nur wieder her zu gewöhnen und zu ziehen. Denn so eigen und natürlich ihr Gott auch ist: Ist sie erst einmal aus der Bahn geraten, hat sie sich hingewöhnt zu den Kreaturen und mit ihnen sich befreundet und verbildert, so wird sie dieses Teils dermaßen verelendet und der Herrschaft über sich beraubt und von ihrem edlen Ziel in solchem Maße abgebracht, dass aller Fleiß, dessen man fähig ist – der reicht immer noch kaum aus, sie völlig wieder her zu gewöhnen. Hinfort bedarf es steter Hut.

Vor allen Dingen also muss man sehen auf eine feste und verlässliche Gewöhnung. Wollte ein ungewöhnter Mensch sich so halten und handeln wie ein geübter, der würde sich nur gründlich verderben, es würde nie etwas aus ihm. Erst nachdem man sich der Welt entwöhnt und ihr entfremdet hat, darnach dann mag man frei schalten und walten und unbekümmert der Dinge genießen oder entbehren ohne Schaden. Sonst aber, wenn man irgendworauf eine Neigung und Gelüste wirft und seinen Willen hinterdrein schickt, handle es sich um Essen und Trinken oder andere Dinge, das kann ohne Verfehlung gar nicht abgehen bei einem ungeübten Menschen.

Nicht eigenen Vorteil, sondern Gott in allen Dingen zu suchen und zu ergreifen, das muss uns zur Gewohnheit werden. Gibt Gott doch niemals eine Gabe, nur damit man sie besitze und sich dabei bescheide. Sondern alle Gaben, die er gegeben im Himmel und auf Erden, die gab er alle darum, damit er eine Gabe geben könne: sich selber. Mit ihnen allen will er uns nur bereiten zu der Gabe, die er selber ist. Und alle Werke, die Gott je vollbracht im Himmel und auf Erden, die vollbrachte er um eines Werkes willen, dass er dieses möchte zu Stande bringen: Dass er uns möchte selig machen. Also sage ich: In allen seinen Gaben und Schöpfungen müssen wir Gott erblicken lernen, an nichts uns genügen lassen, bei nichts stehen bleiben. Es gibt für uns überhaupt kein Stehenbleiben in diesem Leben, für keinen, wie weit er auch kam. Man muss nur allen Dingen gegenüber gefasst sein auf Gaben Gottes, und immer auf neue.

Ich flechte eine kurze Geschichte ein von einer, die durchaus darauf aus war, eine bestimmte Gnade zu erlangen von unserm Herrn; da hätte ich erwidert: Es fehle ihr an der nötigen Bereitung, und gäbe ihr Gott die Gabe so unbereitet, sie müsste daran zugrunde gehen.

Frage: „Warum war sie nicht bereit? Sie hatte doch einen guten Willen, und Ihr behauptet ja, dass der alles vermöge und jede Vollkommenheit in ihm beschlossen liege.“

Allerdings, nur muss man zwei Bedeutungen unterscheiden beim Willen. Es gibt ein zufälliges und wesenloses Wollen; und es gibt ein schicksalsmäßiges und schöpferisches, ein „gewöhntes“ Wollen.

Glaub mir, damit ist’s nicht getan, dass des Menschen Gemüt abgeschieden sei im Augenblick, da man den Entschluss fasst, sich Gott anzuschließen. Sondern man muss eine wohlgeübte Abgeschiedenheit besitzen, die voran und hinterher geht; das erst befähigt uns, große Güter von Gott entgegenzunehmen, und in diesen Gütern Gott. Und ist man unbereit, zerstört man die Gabe und damit auch Gott. Das ist der Grund, warum uns Gott nicht allzeit geben kann, wie wir’s erbitten. An ihm fehlt’s nicht – ist’s ihm doch tausendmal dringender zu geben, als uns zu nehmen –, aber wir tun ihm Gewalt und Unrecht an damit, dass wir ihn an seiner natürlichsten Betätigung hindern mit unserer Unbereitschaft.

Für solch Empfangen muss man lernen, sich aus sich selbst hinauszuschaffen und gar nichts Eigenes zu behalten: Man darf’s nicht absehen auf Förderung, Verzückung, schmelzende Gefühle, auf Lohn, aufs ,Himmelreich’, auf irgendein Ziel des Eigenwillens. Nie und nimmer gibt Gott sich in einen fremden Willen: Wo er seinen Willen findet, da gibt er sich, ergießt er sich hinein. Je mehr wir uns entwerden, umso mehr wachsen wir aus ihm. Darum ist es nicht genug, wenn wir uns ein Mal aufgeben, sondern wir müssen uns oftmals erneuern und uns selber in jeder Weise vereinfachen und befreien.

Auch tut man gut, dass man sich nicht daran genügen lasse, seine Tugenden nur im Gemüt zu besitzen: Auch im Werk, der Frucht der Tugend, soll man sich versuchen und erproben und von den Leuten geübt und versucht zu werden nicht verschmähen. Aber nicht genug, dass man die Tugend betätige, Gehorsam übe, Armut und Entsagung auf sich nehme oder auch bei weltlicher Lebensweise sich demütig und gelassen führe. Man soll darnach stehen und nicht nachlassen, bis man die Tugend gewinne in ihrem Wesen und Grunde. Und ob man sie endlich habe, dafür dies als Probe: Wenn sie unsere erste Regung ist, wenn man sie betätigt auch ohne Bereitung des Willens – wo man’s, bei passender und bedeutender Gelegenheit, sich erst besonders vornimmt –, wenn sie sich sozusagen von selber tut, rein aus Liebe zu ihr und ohne ein Warum, dann hat man sie wirklich und eher nicht.

So lange währe die Schule des Verzichts, bis man nichts Eigenes mehr behält. Alles Gestürmes Unfriede stammt nur aus Eigenwillen, ob man es merke oder nicht. Sich selber muss man ohn’ Besinnen, ein Geläuterter und Entwordener an Wunsch und Willen, begraben in Gottes guten und lieben Willen, mit dem allein man wollen und wünschen darf hinfort.

Frage: „Soll man auch göttlicher Verzückungen mit Willen sich begeben? Mag das nicht vielmehr seinen Grund haben in Trägheit und allzu schwacher Liebe zu ihm?“

Freilich schon: Wenn man einen Unterschied nicht übersieht. Ob es in Trägheit oder wirklicher Abgeschiedenheit seinen Grund hat, dafür gelte als Merkmal, ob man in diesem Zustand der Verlassenheit Gott so getreu ist, wie wenn man in den höchsten Gefühlen schwelgte; ob man hier in seinem Handeln gegen dort um nichts zurückbleibt, und sich so ablehnend verhält gegen jeden Trost und äußeren Behelf, wie da man Gott als gegenwärtig spürte.

Dem rechten Menschen bei seinem guten und vollkommenen Willen kann denn auch keine Zeit zu kurz sein. Denn wo der Wille also steht, dass er zu allem, dessen er fähig, auch fest entschlossen ist – nicht allein jetzt, sondern wären ihm tausend Jahre zu leben vergönnt, er wollte allzeit tun, was irgend in seinen Kräften steht –, dieser Wille zählt für so viel, wie einer in den tausend Jahren wirklich zu Stande bringen könnte. Vor Gott hat er alles getan.

Reden der Unterweisung