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Meister Eckhart

Vom Lassen der Dinge

Die Leute sagen einem: „Ach ja, lieber Herr, ich wollte gerne, ich stünde auch mit Gott auf so gutem Fuß und hätte so viel Sammlung und Frieden mit Gott, wie andere Leute haben. Hätt ich’s nur auch so gut und könnte so arm sein!“ Oder: „Ich komme nie in die rechte Stimmung, außer ich weile da oder dort, treib es so oder so, ich muss ohne Dach und Decke leben, oder in einer Klause, oder im Kloster.“

Aber daran bist du wahrhaftig ganz alleine schuld; eigener Wille ist es, weiter nichts, ob du’s auch nicht Wort haben willst. Nimmer steht ein Unfriede in dir auf, er entspringt aus Eigenwillen, man sei sich dessen bewusst oder nicht. Was wir uns da einreden: Man müsse diese Dinge fliehen und jene suchen, ausgerechnet diese Stätten und Menschen, diese Weise, diese Richtung, diese Beschäftigung – nicht das ist schuld, dass die Lage oder die Dinge dich hinderten. Sondern du bist es in den Dingen selber, was dich hindert, deine Stellung zu den Dingen ist verkehrt.

Bei dir also setz den Hebel an und lass dich! Denn wahrlich: Fliehst du dich nicht zuerst, dann, wo du auch hinfliehst, findest du immer nur Behinderung und Unfrieden. Die Leute, die Frieden suchen in äußeren Dingen: bei Orten und Weisen, durch Menschen oder Werke, durch Unbehaustheit, Armut und Niedrigkeit – wie stattlich sich’s auch ausnimmt, das ist dennoch alles nichts und gibt keinen Frieden. Sie suchen ganz verkehrt, die also suchen. Je ferner sie fortgehen, umso weniger finden sie, was sie suchen. Sie gehen wie einer, der seines Wegs vermisst: Je weiter er geht, je mehr er irrt.

„Aber wie soll man’s denn machen?“

Zuerst einmal sich selber lassen. Damit hat man auch alle Dinge gelassen. Ohne Übertreibung: Ließe einer ein Königreich, ja die ganze Welt, und behielte sich, er hätte gar nichts gelassen. Ja, und gibt er sich auf, so kann er behalten, was er will, Reichtum, Ehre oder was immer: Er hat alles aufgegeben.

Ein Heiliger bemerkt zu dem Ausspruch Sankt Peters: „Sieh, Herr, wir haben alles gelassen“ – und er hatte doch weiter nichts gelassen als ein armes Netz und seinen Kahn –, der Heilige sagt: Wer das Kleine willig lässt, der lässt nicht nur dieses, er lässt alles, was die Kinder der Welt je gewinnen, ja sich auch nur wünschen mögen. Denn wer seinen Willen, wer sich selber lässt, der hat die ganze Welt gelassen, so gut, als ob sie sein freies Eigen wär und sie zu voller Gewalt besessen hätte. Alles, was du ausdrücklich nicht begehrst, des hast du dich begeben, hast es gelassen um Gott. „Selig sind die Armen im Geist“, hat unser Herr gesagt; es bedeutet: die arm sind an Willen. Und daran soll niemand zweifeln: Gäb es einen bessern Weg, unser Herr hätt ihn uns gewiesen. Wie er auch sagt: „Wer mir nachfolgen will, der verzichte zuerst auf sich selber.“ Darauf allein kommt’s an. Fahnde auf dich, und wo du dich findest, da gib dich auf. Das ist das Heilsamste.

Und lass dir sagen: Es hat sich noch nie einer in diesem Leben so darangegeben, er findet immer, wie er sich noch mehr begebe. Derer sind wenige, die das recht wahrnehmen und darin sicher stehen. Es ist recht ein Gleich-mit-Gleich-Vergelten und ein gerechter Kauf: So weit du selber ausgehst aus den Dingen, genauso weit, keinen Schritt weniger oder mehr, geht Gott ein mit allem, was sein ist. Hier heb an und lass dich’s kosten, was du nur leisten kannst, so findest du wahren Frieden. Und anders nicht.

Reden der Unterweisung