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Meister Eckhart

Was der Mensch tun soll, wenn er Gott vermisst und Gott sich verborgen hat

Du sollst wissen, dass der gute Wille Gottes gar nicht missen kann. Nur das Empfinden des Gemüts vermisst ihn unterweilen und verfällt dem Wahn, Gott sei fortgegangen. Was sollst du dann tun? Genau dasselbe, wie wenn du im schönsten Wohlgefühl wärst. Dasselbe lerne tun, so du im ärgsten Leiden stehst. Es gibt keinen bessern Rat, Gott zu finden, als: wo man ihn gelassen hat. Wie dir war, da du ihn zum letzten Male hattest, so tu auch nun, derweil du seiner missest, so findest du ihn. Aber wie gesagt: Der gute Wille, der verliert, noch vermisst Gottes überhaupt niemals.

Viele Leute sprechen: „Wir haben guten Willen!“ Sie haben aber nicht Gottes Willen. Sie wollen ihren Willen haben und wollen unsern Herren lehren, er hab es so und so zu machen. Das ist durchaus kein guter Wille. Bei Gott muss man forschen nach dessen liebstem Willen. Darauf ist Gott überall aus, dass wir das Wollen aufgeben. Da Sankt Paulus mit unserm Herrn geheime Red’ und Widerrede pflog, das schaffte alles nicht, bis dass er den Willen aufgab und sprach: „Herr, was willst du, dass ich tun soll?“ Da wusste unser Herr wohl, was er tun sollte. So auch da Unserer Frau der Engel erschien. Alles, was sie je getan und geredet, das hätte sie niemals zur Mutter Gottes gemacht. Aber sobald sie ihren Willen aufgab, da auf der Stelle ward sie eine wahre Mutter des ewigen Gottesworts, da empfing sie Gott; der ward ihr natürlicher Sohn. Nichts in der Welt macht uns zu wahren Menschen, als Willenshingabe. Ohne sie haben wir mit Gott überhaupt nichts zu schaffen. Wiederum: Käm es dahin, dass wir allen unsern Willen aufgäben und uns aller Dinge, äußerlich wie innerlich, zu entschlagen getrauten, so hätten wir die Welt geschaffen, nicht er. Solcher Leute findet man wenige.

Ob sie sich’s bewusst sind oder nicht: Die immer nur auf ,Stimmung’ und große ,Erlebnisse’ aus sind und nur diese angenehme Seite haben wollen: Eigenwille ist das, weiter nichts! Du solltest dich Gottes gänzlich ergeben. Und da kümmere dich weiter nicht, was er anfange mit seinem Eigentum. Es sind tausend Menschen tot und im Himmel, die niemals völlig aus ihrem Willen gingen. Das wäre allein ein vollkommener und wahrer Wille, dass man ganz getreten wäre in Gottes Willen und stünde des Eigenwillens bar. Je weiter es einer hierin gebracht hat, umso mehr ist er Gott einverleibt. Ja, ein Ave-Maria in solcher Gesinnung gesprochen ist förderlicher, als tausend Psalter gelesen ohne sie; ein Schritt in ihr besser, als ohne sie eine Fahrt übers Meer.

Der Mensch, der also sich selbst ganz entgangen wär, wahrlich, der wär so ganz und gar in Gott gesetzt, wo man ihn rühren wollte, da müsste man Gott zuerst anrühren: Gott umschließt ihn, wie meine Kappe mein Haupt umschließt, und wer mich wollt angreifen, der müsste zuerst mein Kleid berühren. Oder ein anderer Vergleich: Soll ich trinken, so muss der Trank zuerst über die Zunge gehen, da empfängt er seinen Geschmack. Ist die Zunge bekleidet mit Bitterkeit, dann mag der Wein an sich noch so süß sein, er muss ja bitter werden auf dem Wege, auf dem er an mich kommt. So auch ein seines Ichs entkleideter Mensch würde dermaßen mit Gott umfangen sein, dass die Erschaffenen allesamt unfähig wären, ihn zu rühren, sie rührten denn Gott zuerst: Was an ihn kommen sollte, das müsste durch Gott hindurch zu ihm gelangen; da empfängt es seinen Geschmack und wird gottartig. Wie hart daher ein Leiden sei, kommt es auf dem Wege über Gott, darunter leidet Gott an erster Stelle. Und sogar dies: Vor Gott ist nie ein Leid, das uns befällt, so gering, eine Missstimmung, eine Widerwärtigkeit, dass es nicht in Gott gesetzt, ihn ohne Maßen näher rührte und viel ärger zuwiderliefe als dem Menschen. Lässt aber Gott es sich gefallen um irgendeinen Vorteil, den er dir darin ersehen hat, und willst du leiden, was er erleidet und durch ihn an dich kommt, so wird es von selber gottartig, Verschmähung und Bitternis wie das Allersüßeste und die dickste Finsternis wie das klarste Licht: Es nimmt alles seinen Geschmack an Gott und wird göttlich, es formt sich alles nach dessen Bilde, was immer an diesen Menschen kommt.

Das Licht leuchtet in der Finsternis, da wird man seiner gewahr. Was soll denn den Leuten so Licht wie Lehre, denn dass sie’s nützen? So sie in der Finsternis sitzen und mitten im Leid, so wird man sehen, was es ist mit ihren Erleuchtungen.

Wer die Selbstheit hinter sich gelassen, der kann ja eigentlich niemals Gottes missen, bei keinem Tun. Geschäh’s aber doch, dass Fuß oder Zunge ihm strauchelte oder sonst ein Ding ihm zu unrecht geriete, ob doch Gott sein Beginn war bei dem Werk, so muss Er wohl oder übel den Schaden auf sich nehmen; doch du darfst darum keineswegs von deinem Werke lassen. Solcher Zwischenfälle wird man in diesem Leben wohl nie ganz überhoben sein. Doch darum, weil etwa auch Ratten unter das Korn fallen, darum soll man das gute Korn noch nicht verwerfen. Vielmehr, wer recht gemutet und sich mit Gott auskennt, dem gerieten alle solche Prüfungen und Zwischenfälle zu erheblicher Förderung. Denn dem Guten müssen alle Dinge zum Besten dienen – wie Sankt Paulus sagt und ebenso Sankt Augustinus, „sogar die Sünde“.

Reden der Unterweisung