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Symeon der Neue Theologe

1

Komm, den meine arme Seele ersehnt hat und ersehnt. Komm, Einsamer, zum Einsamen; denn einsam bin ich, wie du siehst. Komm, der du mich alleingestellt, zum Einsamen gemacht hast auf der Erde. Komm: Zur Sehnsucht bist du mir geworden. Du hast das Sehnen mir nach dir gegeben, der jedem Seufzer unerreichbar ist. Komm, mein Atem und mein Leben. Komm, meiner armen Seele Tröstung. Komm, Freude, Glorie, meine ewigliche Wonne.

Dank sag ich dir, dass du zu einem Geist mit mir geworden, unvermischt und ohne Änderung und Wandel. Alles überragend bist du in allem alles mir geworden. Nie versiegend, schüttest du dich über meiner Seele Lippen aus, meines Herzens Quelle mit deiner Fülle überströmend. Durch heiliger Tränen anhaltendes Strömen, das deine Gegenwart den von dir Heimgesuchten gibt, wäschst du mich rein. Dank sag ich dir: Tag ohne Abend bist du mir geworden, Sonne ohne Untergang, der du nicht hast, wo du dich bergen könntest: Mit deiner Herrlichkeit erfüllst du das All. Niemals hast du vor jemand dich verborgen.

Wie du an mich gedacht und, ohne dass ich es nur ahnen konnte, mich erwähltest, mich der Welt entrissest und vor das Auge deiner Herrlichkeit mich stelltest, so mach auch jetzt mich innerlich gefestigt, dass ich nimmer wanke, bewahre mich, indem du in mir wohnen bleibst, dass Tag für Tag in deiner Schau ich Toter lebe und, dich besitzend, ich Armer reich sei. So werde ich stärker sein als alle Könige, und, dich essend und dich trinkend, dann von Stund zu Stunden unsagbarer Wonnen Seligkeit, in dich mich hüllend, kosten. Denn du bist das Gute ganz, du bist die ganze Schönheit, du die ganze Seligkeit. Und dir gebühret Ruhm, nun und immer und durch der Ewigkeiten Unbegrenztheit.

2

Dein Licht, das mich umstrahlt, erweckt zum Leben mich. Denn dich sehen heißt zurück ins Leben gehen, heißt von den Toten auferstehen. Was dein Bild bewirkt, nicht kann ich’s sagen. Doch das weiß ich wirklich und erkenne es: Ob mich nun Krankheit, ob mich Schmerz, ob Trauer, ob mich Bande, Hunger und Gefängnis fesseln, noch schwerere Beschwerden mich beschweren: Erstrahlt dein Licht, wird alles mir wie Finsternis vertrieben und verscheucht, und in Ruhe und in Licht und in des Lichts Genießen sehe ich plötzlich mich gestellt. Ich weiß, dass Rauch die Schmerzen sind, böse Gedanken Finsternisse, Speere die Prüfungen, Bekümmernisse Nebel, Leidenschaften wilde Tiere heißen. Von ihnen hast du einstens mich befreit, von ihnen mich errettet, und mählich mir mit deinem Lichte tragend, bewahrst du mich auch jetzt, wenn ich darinnen wandle, ohne Wunden, indem du mich mit deinem Lichte schirmst.

Wie beim Untergehen der Sonne Nacht und Dunkel sich erheben, und hinaus die wilden Tiere alle auf die Weide gehen, also bestürmen mich, sobald dein Licht sich mir entzieht, gleich dieses Lebens Finsternisse, und die Wasser rastloser Gedanken und die wilden Tiere trüber Regungen verschlingen mich, und durch die Pfeile von aller Art Gedanken seh ich mich verwundet. Sobald du wieder, durch deine Güte angeregt, dich mein erbarmt und die flehentlichen Klagen mein erhört und meine Seufzer wahrgenommen und meine Zähren angenommen, und dir’s gefiel, auf meine Niedrigkeit zu achten, so wirst du sichtbar mir von fern als Morgenstern, und allgemach beginnst du dich zu weiten [nicht wandelst du dich selbst, doch öffnest deines Knechtes Geist du, dass er schaut]. Merklich wirst du größer. Wie eine Sonne schaut man dich. Denn da die Finsternisse fliehen, sich verziehen, so mein ich, dass du kommst, der du doch allerorten gegenwärtig bist. Sobald du ganz mich wie vorhin umgeben, sobald du ganz umschlungen mich mit deinen Armen, mich bedeckt, werd ich befreit von Übeln, Finsternissen, Prüfungen und Regungen, die wider die Vernunft, und allem bösen Denken werde ich entrissen, mit Gutsein werde ich erfüllt, mit Jubel, Freude, unglaublicher Geisteswonne.

3

Soweit ich Ihn nicht fasse, reibt sich mein Geist in Kümmernissen auf, und heiß entringt dem Herzen sich mein Seufzen. Von einem Ort zum andern irrend wandernd, suche ich, im Inneren brennend, ihn und finde dennoch nirgendwo, den meine Seele liebt. Ich schau und schau rings um mich her, ob ich erschauen kann, nach dem mein Sehnen geht. Doch er entzieht sich gleichsam meinen Blicken, will ganz und gar nicht mir sich zeigen. Doch wenn zu weinen ich beginne wie ein Verzweifelnder, dann bietet er sich meinen Augen dar: Er schaut mich an, der alle Dinge schaut. Staunen und Verwunderung erfasst mich über diese Schönheit ohnegleichen.

Er wohnt in mir und ist wie eine Leuchte mir in meinem armen Herzen, bekleidet mich von allen Seiten mit unsterblichem Glanze, durchleuchtet alle meine Glieder, ganz mich umarmend und mich küssend, gibt er sich gänzlich mir ohne mein Verdienst zu eigen. Gesättigt werde ich von seiner Liebe, seiner Schönheit und von der Wonne seiner Göttlichkeit erfüllt und ihrer Süße. Teilhaft des Lichtes werde ich Genosse seiner Herrlichkeit. Mein Antlitz leuchtet wie das Antlitz dessen, der meine Sehnsucht ist. Und alle meine Glieder werden licht. Dann werde schöner ich als alle Schönheit, reicher als die Reichen, mächtiger als alle Mächtigen und größer als die Könige, weit herrlicher als alle Sichtbarkeit, nicht nur als diese Erde, ihre Schätze, nein, schöner als der Himmel und die Himmelskörper gar …

4

Wie verehrungswert ist das Mysterium, das sich in mir vollzieht. Die Zunge kann’s nicht künden, nicht diese schwache Hand es niederschreiben zum Lobpreis dessen, für den in Wahrheit alles Rühmen, alle Rede Stammeln bleibt. Was jetzt in mir Beklagenswertem sich vollzieht, ist unsagbar und unerforschlich: Wie sollte der, der solchen Reichtum spendet und bewirkt, unseres Rühmens, unseres Jubelns je bedürfen? Nein, der ist nicht zu preisen, der gepriesen ist: Denn auch der Sonne wird kein Glanz von uns verliehen, kein Licht von uns entliehen, der Sonne, die wir am Himmel leuchtend sehen. Sie sendet Licht in uns, erleuchtet wird sie nicht, sie gießt es aus, empfängt es aber nicht.

So leidet denn auch meine Zunge jetzt gar sehr ob ihrer Worte Dürftigkeit, und was in mir geschieht, das sieht mein Geist zwar ein, doch sagen kann er’s nicht. Er schaut es und er will es künden, doch findet er nicht Worte, es zu sagen. Denn Unschaubares schaut er, aller Gestaltung gänzlich bar, ganz einfach, ohne Teile und doch: An Größe ist’s Unendlichkeit. Nicht mal den Anfang schaut er, nicht das Ende und auch die Mitte nicht einmal, er sieht’s, und doch versteht er nicht, wie er es sagen könnte. Wenn ich’s so nennen soll, ist es im Höchsten eine Ganzheit, wie mir scheint. Und doch wird keineswegs sein Wesen selbst geschaut: Man schaut es nur, indem man’s mit ihm teilt. Aber was sich mitteilt, trennt sich doch vom Ersten, und weil es etwas Körperliches ist, zerteilt es sich in Strahlen mannigfalt. Jenes aber ist ein Geistiges. Teilung, Gliederung und Trennung sind ihm völlig fremd. Gewiss, es teilt sich mit, und dennoch lässt es sich in viele Teile nicht zerlegen. Nein, ungeteilt beharrt es, wohnt in mir, und einer Sonne gleich geht’s in mir drinnen in meinem jammervollen Herzen auf wie eine lichtverwandte runde Sonnenscheibe. Dieses Wunder voll Erhabenheit bringt Aufruhr meinem Geist, entriegelt meinen sündigen Mund: Und wie es nun in meinem blinden Herzen aufsteigt, das auszusprechen und zu schreiben drängt es auch wider meinen Willen mich. Sie brachte mir Enträtselung von Wundern, die Augen nie geschaut. In mich, den Letzten und Erbärmlichsten von allen, hat sie sich eingesenkt.

5

Was ich schaue, ist die Sonne. Unsagbar über alles ist mir angenehm, sie zu empfinden. Mit wunderbarer Liebe, göttlicher, zieht sie die Seele an. Sie brennt in ihrer Schau und glüht in liebendem Verlangen, und alles, was sich von ihr zeigt, begehrt sie, in sich zu besitzen. Dass sie’s nicht kann, das macht sie traurig; sie nur zu schauen, zu betrachten nur, erscheint ihr nicht als gut. Denn wenn sie, die ich schaue, die von niemandem zu fassen ist und in Wahrheit unzugänglich ist, der betrübten und gebeugten Seele mein Erbarmen zeigen will, dann strahlt sie plötzlich groß, wie ich sie schaue, vor meinen Blicken auf, so schaue ich sie ganz in ihrer Fülle in mir leuchten, und ganz, mit jeder Freude, jeglichem Verlangen und der Wonne dieser Schau erfüllt sie mich in meiner Niedrigkeit. Plötzlich kommt diese Wandlung über mich, fremd ist dieser Wechsel, und was in mir geschieht, ist nicht mit Worten zu beschreiben. Wenn jemand nämlich sieht, wie diese Sonne, die wir alle schauen, in sein Herz herniedersteigt, gänzlich in ihm wohnt und strahlend darin aufgeht, wird er da nicht ob dieses Wunders ganz bestürzt sein und fast außer sich geraten?

6

Weinen muss ich, wenn das Licht mir leuchtet, wenn ich meine Bettelarmut schaue, wenn ich, wo ich bin, erkenne, und in was für einer Welt ich wohne, dass ich sterblich, dass sie sterblich und natürlich auch vergehen wird. Freude aber und Ergötzen fühle ich, wenn ich durchschaue meinen Zustand und die Herrlichkeit, die Gott mir zugestand. So ruft die Freude denn ein Sehnen nach dem Spender und Verwandler in mir wach, und das Sehen entpresst mir Tränenströme, und reicher noch erleuchtet’s mich.

7

Wie konntest du mit diesem herrlich leuchtenden Gewande mich bekleiden, mit dem strahlenden Gefunkel der Unsterblichkeit, das alle meine Glieder herrlich macht? Dein Leib ist ohne Makel, göttlich, unvermischt, und dennoch unsagbar mit mir vermischt; ganz leuchtet er im Feuer deiner Göttlichkeit. Und diesen hast du mir geschenkt. Denn als Gott vereint sich meinem schmutzigen, dem Untergang geweihten Zelte hier dein ganz fleckenloser Leib, und mein Geblüt vermischt sich deinem Blut – ich weiß es –, ja, vereint auch bin ich deiner Gottheit, und dein ganz reiner Leib bin ich geworden, ein leuchtend Glied von dir, dein Glied, in Wahrheit heilig, dein ganz rötlich schimmernd Glied, ganz hell und strahlend. Ich schau die Schönheit, schau den Glanz, dein Licht schau ich im Spiegel deiner Gnade; unsagbar ist der Glanz, der Staunen mir erweckt. Ich bin ganz außer mir, wenn ich bedenke, was ich war und was in Wundern ich geworden bin. Furcht, Ehrfurcht habe ich vor mir, in scheuer Ehrfurcht stehe ich vor mir, als sei ich du, und bin verlegen, weiß gar nicht, wo ich mich niederlassen soll, wem mich nahen, wo deine Glieder anlehnen, zu welchen Werken, Handlungen ich diese verehrungwerten Glieder, diese göttlichen, gebrauchen soll.

Entlass mich nicht, verlass mich nicht. Lass mich nicht irre gehen, mein Erlöser, mich Armen, sag ich, Bettelarmen und mich Fremdling. Damals hast du mich von meinem Erbe, von allem, was ich meine Heimat nannte: von Vater, Brüdern, Mutter, von Heimischen und Fremden und all den Freunden und Verwandten losgelöst, mich, der ich mehr als alle diese wertlos war, mit deinen reinsten Armen hast du mich umschlungen. So schenk auch jetzt, Erbarmer, mir Erbarmen. Und nimm erbarmend du dich meiner an, behüte mich, und meines Geistes wildes Stürmen halte nieder.

8

Ich habe mich vor dir verborgen. Umgeben von der Nacht der Sorgen dieses Lebens trug ich der Schmerzen viele, viele Wunden heim. Und viele Stöße trage ich seither in meiner Seele. In meiner Qual, in meines Herzens Leide rufe ich: Oh, heile mich von meinen Striemen, meinen Wunden! Träufle das Erbarmen deiner Gnade auf sie nieder! Lass meine Schläge und Geschwüre mich vergessen! Verbinde meine Glieder wieder, schnüre sie zusammen, sie, die so sehr gelockert sind! Und tilge alle meine Wunden und lass mich wieder allweg ganz gesunden wie dereinst, da nicht ein Flecken mich entstellte und nicht eine Strieme, eine Blähung einer Wunde, ein Makel, nein, da Ruhe, Freude, Friede Sanftmut, heilige Demut, Langmut in mir wohnte, der Geduld und guten Werke Klarheit und ergebenes Ertragen, eine Kraft, die gänzlich unbesiegbar war, woher mir täglich süße, süße Tränen quollen, woher mir Freude wie ein Bronn in meinem Herzen quoll und reichlich strömend aus ihm rann und wie ein Honigstrom und wie ein Freudetrank beständig mir in meines Geistes Munde lebte. Woher mir jegliche Gesundheit kam, woher mir Reinheit, Ruhe mir von bösen Leidenschaften kam und der Verzicht auf nichtige Gedanken, und die Leere von den Leidenschaften gewissermaßen strahlend in mir wohnte und mir vertraut zur Seite war. Sie senkte jene unsagbare Wonne der Vereinigung in mich und jenes grenzenlose Sehnen nach Vermählung in Vereinigung mit Gott. Und durch sie wurde ich verwandelt und befreit von Leidenschaften, ward von Wonne ich durchglüht, dass ich von Sehnsucht nach ihm brannte, teilhaft seines Lichtes ward, ja, selber Licht ward, über alle Leidenschaft erhaben, aller Sünde ward enthoben. Denn nicht berührt mehr Leidenschaft das Licht, das Freiheit uns von Leidenschaften schafft, so wie der Schatten und die Finsternis der Nacht die Sonne nicht berührt.

So geworden, ward ich, mir vertrauend, vom Stolze aufgebläht und von der Sorge um die Sinnendinge, und von des Lebens Sorgen abgelenkt bin ich Unglückseliger gestrauchelt. Ich kühlte wieder ab und nahm des Eisens Schwärze an, und lange so da liegend, griff ich hastig gar nach Gift. Darum, o Gütiger, ruf ich zu dir: Von Neuem mach mich rein, erhebe mich zu jenem alten Schönheitsglanze wieder und lass dein Licht – ich bitte dich – mich wieder kosten.

9

Höre, was du tun musst, willst du gerettet werden, höre du vor allen andern es, du, der du mich fragst. Schon heute musst du dich als tot erachten, heute wissen, dass du allem aufgekündigt hast, heute schon, dass du die ganze Welt verlassen hast. Heute schon verlass die Freunde und Verwandten, allen leeren Schall des Ruhms, zugleich auch lege gänzlich deine Sorgen ab, die Nichtigkeiten gelten, heb hoch auf deine Schultern dann dein Kreuz, verbind es eng mit dir und bis zum Lebensende trag es. Die Mühen deiner Prüfungen, die Schmerzen der Bedrängnisse und der Beschwerden Nägel, nimm sie mit höchster Lust als einen Kranz des Ruhmes hin. Wenn du zuzeiten dich durchbohren lässest von der Ungerechtigkeiten Speeren und hart von Schmähung aller Art gesteinigt wirst und Tränen statt des Blutes du vergießest, dann wirst ein Leidensheld du sein, und wenn du die Verspottungen, die Backenschläge frohen Sinnes trägst, dann wirst du meiner Göttlichkeit und meiner Herrlichkeit Genosse sein. Wenn du dich selbst als Allerletzten achtest und als den Knecht und Diener aller, so werde ich dich dann, wie ich verheißen, zum Allerersten machen. Wenn du die Feinde alle, alle, die dich hassen, liebst und ihnen Gutes tust nach deiner Kräfte Maß, dann bist in Wahrheit ähnlich du geworden. So wird das Herz, das du besitzest, rein, und Gott, den niemand je gesehen, wirst du in deinem Herzen schauen.

10

Wo nur seine Hand mich anrührt, wo sein Finger nur mir naht, sofort zerreißen meine Bande, sterben jene Würmer, zusammenschrumpfen dann die Ränder meiner Wunden, der Schmutz fällt ab, es sinken hin die Flecken meines Fleisches. Zu einer Narbe zieht sich alles plötzlich so zusammen, dass, wo sie war, sie gar nicht mehr erscheint, nein, sie wird leuchtend wie der Gottheit Hand. Wunderbar und neu ist so mein Fleisch geworden. Und meiner Seele Wesen, nein, auch des Körpers Wesen, erlanget Gottes Glanz und gießet um sich aus der Gottheit Leuchten. Und da ich dies in einem Teile meines Leibs vollendet sehe, wie soll ich da des Sehnens mich enthalten, wie nicht flehen, dass mein ganzer Leib befreit von seinen Übeln werde und Herrlichkeit erlange?

Während ich mich so verhielt, ja, heißer noch ihn drängte und staunte über solcher Wunder Maß, bewegte seine Hand er und rührte auch die andern Teile meines Körpers an. Ich schaue sie, rein, ins Kleid der Gottesherrlichkeit gehüllt. Kaum bin ich so gereinigt, kaum meiner Fesseln ledig, da reicht er mir die Hand die göttliche, hebt mich vom Schmutze auf, umart mich, fällt mir um den Hals [weh mir, wie darf ich es ertragen?] und küsst mich, küsst mich immer wieder. Nach meiner gänzlichen Erschöpfung erhalte kaum ich neue Kräfte wieder [oh, wie soll ich dieses niederschreiben?], nimmt er auf seine Schultern mich. O Liebe, Güte! Führt mich heraus aus jenes Unrats Grund, heraus aus meinem Elend mich, hinein in eine neue Welt, in neue Luft; denn nimmer kann ich’s ganz mit Worten sagen. Das wusst’ ich nur, dass ich von Licht getragen wurde und dass mich ringsum Licht umgab und dass ich hingeführt zu großem Lichte ward. Gewaltig war dies Licht und wunderbar.

Als ich schon soweit war, gab er mir Neues aus dem Licht mir zu erschauen. Eine neue Wandlung ließ er mich erkennen, ja, gewandelt hat er mich, mich neu gestaltet, von der Verderbtheit mich befreit und gänzlich mich – ich fühlte es – dem Tod enthoben. Unsterblich Leben mir gegeben, mich von der Welt geschieden, die vergehen wird, hat selbst von allem mich, was sie enthält, getrennt, mit einem stofflos-lichten Kleide mich bekleidet. Er machte mich – o neues Wunder! – unberührbar, unantastbar und unsichtbar, vereinte mich mit Dingen, die dem Sehsinn sich entziehen.

Und da auf diese Weise er mich so gestaltet, hat er mich in ein Gezelt, das sinnlich-körperlich, gestellt. Er schloss mich darin ein, verschanzte mich darin und führte in die Welt mich wieder, die Welt, die wir gewahren, die wir sehen, hieß mich, in ihr mein Leben wieder fortzusetzen. Hieß mich, bei denen, die in Finsternissen weilen, zu verweilen, wo ich doch frei von Finsternissen war, und mich mit jenen, die im Schmutze leben, zu umgeben, besser, sie zu lehren, zur Erkenntnis sie zu führen, welche Wunden allweg sie verwunden, mit welchen Banden sie gebunden.

Da er mir solches aufgegeben, hat er sich wieder fortbegeben. Ließ so in meinen frühern Finsternissen mich allein. Nicht konnte ich zufrieden sein mit jenen mir von ihm geschenkten unsagbaren Seligkeiten, da er ja gänzlich mich erneuert, gänzlich mit Unsterblichkeit bekleidet, gänzlich mich vergöttlicht. Und das genügte mir, all dieser Seligkeiten zu vergessen. Arm und verlassen dünkt’ ich mich zu sein. Wie in des alten Elends Hütte empfand ich Qual, und sitzend in des Zeltes Mitte, wie in ein Häuslein, ein Gefäß verschlossen, begann zu weinen ich und laut zu klagen und wagte nimmer mehr, hinauszusehen. Ich suchte ihn ja, dem mein Sehnen galt, den ich geliebt, des schöne Form mir Wunden schlug. Ein Feuer war ich, Glut und Flamme nur. So also lebte ich, so weinte ich, so härmte ich mich ab, litt heiße Qual, begann vor Schmerz zu rufen.

Und da er meinen Schrei gehört, hat er aus ungemessner Höhe, wie ich sie nur ahnen konnte, zu mir hergeschaut. Und da er mich erblickte, hatte er Erbarmen. Und ließ sich, wie’s nur Menschensinnen möglich, wieder von mir schauen, er, der sich sonst doch jedem Aug entzieht. Und da ich ihn erblickte, durchfuhr ein Schauer mich in dem Gefängnis meines Hauses, in dem Gefängnis des Gefäßes und in der Mitte jener Finsternisse, die den Himmel von der Erde trennen. Ich jauchzte auf vor Freude. Ich schaute, dass er wieder ganz in meinem Hause war, wie er inmitten des Gefäßes plötzlich stand und mich auf unsagbare Art in eins mit sich verband. Sah, wie er ohne Mischung sich zu mir herbeiließ so wie das Feuer zu dem Eisen, wie zum Kristall das Licht. Er machte mich dem Feuer, dem Kristalle ähnlich. So ward ich jenes, was ich vorher schaute und noch von ferne sah. Wie das geschah und wie ich diese wunderbare Schönheit dir beschreiben soll, nicht Worte kann ich dafür finden. Denn nicht war es mir möglich, jene zu erkennen; auch jetzt noch kann ich’s nicht erkennen, wie er zu mir kam und wie er sich mit mir vereinte. Vereint bin ich mit ihm. Doch wie nur soll ich dir erklären, wer denn jener sei, der mir und dem hinwieder ich vereint? Und wie soll ich mich, vereint mit ihm, benennen? Zu einem Gott hat er in zwei Naturen mich gemacht und eins in der Person, zu einem Doppelwesen. Mensch bin ich von Natur und Gott durch Gnade.

11

Du bist ein flutend Feuer, ein erquickend Wasser, verzehrst und fließest doch von Wonne über und befreist von Verderbnis. Menschen machst zu Göttern du, die Finsternis zu Licht, führst aus der Unterwelt zurück, beschenkst die Toten mit Unvergänglichkeit. Führst aus Finsternissen hin zum Licht, schließest die Tür der Nacht mit deiner Hand, umgibst das Herz mit Lichtesschimmer. Wandelst mich gänzlich um. Verbindest mit Menschen dich, machst sie zu Göttern; entflammest sie mit deiner Liebe. Vereinst als Gott auf wunderbare Weise das von dir Getrennte.

12

Wer, wenn er dich geschaut, wer, der von deinem Glanz und deinem Gotteslichte sich erleuchtet weiß, wer wird nicht ganz und gar im Geiste, in der Seele und im Innersten verwandelt? Wer nicht gewürdigt, auf eine neue Art zu sehen und auf ganz neue Art zu hören? Denn eingetaucht wird in dein Licht der Geist, und er erlangt ein Licht, das deiner Glorie in allem ähnlich ist. Und darum wird er auch dein Geist genannt, weil du dich würdigtest, dass er es ward und deinen Geist und deinen Sinn ihm gabst. Und also wird er dir vereint mit einem Band, das unauflöslich ist. Wie wird er da nicht alles sehen, hören, gleich wie du gestört von keiner Leidenschaft? Wie wird er, wenn er deine Göttlichkeit erlangt hat, noch begehren, was den Sinn ergreift? Wie noch Vergängnis heischen, wie noch ein Ding, das dem Zerfall verfällt, begehren?

13

Nicht von dieser Welt ist diese Liebe und gar nichts von dieser Welt, nein, da sie etwas Ungeschaffenes ist, so ist sie keine Kreatur, nein, außer aller Kreatur ist sie, von aller Kreatur geschieden, inmitten aller Schöpfung ungeschaffen. Dies Ungeschaffne lässt sich nie erschaffen. Doch wenn es will, kann’s auch bewirken, dass es geschaffen wird. Denn, siehe nur: Das Wort, das keinen Wechsel an sich duldet, hat in Fleischeshülle sich gekleidet, und er, der seinem Wesen nach ein unerschaffner Gott, der ward auf unsagbare Art Geschöpf.

Da ich den Glanz erblickte, hat unglaublicher Jubel mich erfüllt. Doch ward des Schauens ich nicht froh. Nein, als er mich mit Himmelseligkeit erfüllt, flog er davon, entführte mit sich meinen Geist und meinen Sinn, nahm alle Gier mir nach den Dingen dieser Welt. Und da mein Geist ihm folgte, da wollte er den Glanz, den er geschaut, erfassen. Doch fand er ihn nicht als Geschöpf. Gleichwohl erspähte er im Umkreis alles, suchte ihn zu schauen. Die Luft durchsuchte er, er musterte den Himmel, durchwanderte die Tiefen, und was als Äußerstes der Welt erschien, erforschte er und untersuchte er. Doch nichts in allem diesem fand er: Alles war geschaffen. Und ich begann zu weinen und zu klagen, und bis ins Innerste entbrannte ich und lebte also wie von meinem Geist verlassen.

Er kam, sobald es ihm gefiel. Erst barg er sich in lichtem Nebelschein, der sich, wie’s schien, auf meinem ganzen Haupte niederließ, sodass ich von Bewunderung erfüllt in einen Schrei ausbrach. Dann flog er wieder fort und ließ mich ganz allein. Und da ich ihn mit Mühsal suchte, nahm ich ihn plötzlich wieder in mir wahr. In meines Herzens Mitte ließ er wie ein Licht, der runden Sonne gleich, sich von mir schauen. Und da er so erschienen, und da ich ihn erkannte und ihn aufnahm, da schlug er der Dämonen Sippschaft in die Flucht, vertrieb die unmannhafte Furchtsamkeit und senkte Tapferkeit in mich hinein, nahm meinem Geist den Weltsinn, umkleidete dafür mit Geistsinn mich. Von dem, was schaubar ist, schloss er mich ab, verband mit dem mich, was nicht schaubar ist, verlieh mir, Unerschaffenes zu schauen, verlieh die Freude mir, von Wesen, die geschaffen, sichtbar sind und bald vergehen, losgelöst zu sein, verbunden mit dem Ungeschaffenen, Unsterblichen zu sein, der ohne Anfang ist, den niemand schauen kann. Das nämlich ist die Liebe.

14

In meiner Zelle sitze ich bei Nacht, bei Tag. Die Liebe ist zugegen, auch wenn sie sich nicht zeigt und man sie nicht erkennt. Und wenn sie außer allen Kreaturen ist und wenn sie wiederum in allen ist, sie ist ein Feuer, ist ein Glanz, wird Lichtesnebel, wird zur Sonne gar. Als Feuer spendet sie der Seele Wärme, zündet an mein Herz, facht es zur Sehnsucht und zur Liebe seines Bildners an. Und bin ich hinlänglich entflammt, dass meine Seele brennt, umgibt sie gänzlich mich mit Lichtesstrahl, senkt Strahlenbündel mir in die Seele ein, und da sie meinen Geist erleuchtet und ihm Klarheit gibt, macht sie ihn fähig, Tiefen zu betrachten.

15

Da du die Hüllen von dir abstreifst und deines Blickes Glanz mir klarer offenbarst, erzittre ich an allen Gliedern, indem ich dich dort oben schaue, soweit ich es mit meiner kleinen, meiner niedrigen Natur vermag. Von Furcht erfasst und Staunen spreche ich: All deine Herrlichkeit geht über meine Fassungskraft.

Da ich dies sage, schließ ich meine Augen und lenke meinen Geist der Tiefe zu. Denn deiner Gottheit Majestät zu schauen, zu durchschauen, geht über meine Kraft. Laut heb ich dann zu jammern an, dass deiner Schönheit ich beraubt; nicht tragen kann ich es, getrennt zu sein von dir, der du allein voll Güte bist. Und während also ich nun klage, weine, umstrahlst du gänzlich mich mit deinem Scheine. Eja! Ich bin erstaunt, es fließen mir die Tränen überreich, da ich dein Mitgefühl mit mir Verworfenem bewundere.

Da dies ich zu dir rede, der du zuerst dich in der Höhe zeigst, dann wieder dich verbirgst und endlich, wie ich bin, mit Strahlengarben mich umgibst, da plötzlich schau ich, wie du gänzlich in mir aufgegangen bist, der du zuvor nur in der Höhe sichtbar wurdest und dich dann wiederum verbargst, so wie die Sonne ihre Strahlen einzieht und hinter zarten Wolkenschleiern sich verhüllt. Wie diese dann dem Blick der Augen offen steht und heller dann den Menschen scheint, so bist auch du, da du verborgen in mir ruhst, du, der du sonst nicht zu erreichen bist, ins Blickfeld meiner Augen gerückt, und allmählich wachsend, gießest reicher Licht du aus, und herrlicher erstrahlst du.

Ein andermal jedoch bist du mir wieder unerreichbar. Drum, weil man nicht vermag, dich zu erfassen, drum preis ich dich. Mit lauten Liedern lob ich deine Güte und preise den, der unsere Natur verklärt. Preis, o göttlich Wort! Preis deinem Kommen, das nicht zu messen ist! Preis sei deiner Güte! Preis sei deiner Macht! Preis dir, dem Wandellosen, der du beharrst und dich nicht änderst! Ganz bist du unbeweglich, und du bewegst dich stets. Ganz bist du außerhalb der Schöpfung, ganz in ihrer Mitte; gänzlich füllst du alles aus und bist doch gänzlich außer allem. Über allem bist du, über allem Anbeginn und über allem Wesen, über allem Wesen der Natur bist du und über allen Menschenaltern, über jedem Licht bist du und über aller Himmelsgeister Einsicht.

Denn du bist nichts von allem, du stehst über allem. Urgrund bist du aller Dinge, die da sind, aller Dinge Bildner, darum bist du auch getrennt von ihnen, unterscheidest dich von allem; ragend über alle Dinge, die da sind, wirst du erkannt. Du fliehst den Blick der Augen, man kann dich nicht erreichen, nicht erfassen, nicht berühren, nicht erkennen. Du bist unwandelbar, ganz einfach bist du und doch ganz mannigfach. Und deines Glanzes Mannigfaltigkeit und deiner Schönheit Zier, nie kann mein Geist sie ganz ergründen. Wie denn ist der, der nichts von allem ist, doch über allem? Der du außer allen Dingen bist und aller Dinge Gott, und Anblick, Nähe, Geist, Berührung fliehst, du bist ein Sterblicher geworden, kamst in die Welt hinein und nahmst den Körper eines Menschen an.

Weil du außer allen Dingen wohnst, entrückst du die von dir Erleuchteten den Dingen, die der Augen Sinn bewegen, entrückst du, obwohl inmitten wir der Dinge weilen, die in die Sinne, in die Augen fallen, uns, deine Knechte, erleuchtest uns mit deinem Lichte und hebst uns ganz und gar mit dir empor und machst uns Sterbliche unsterblich, und obzwar wir bleiben, was wir sind, werden Söhne wir durch Gnade, ähnlich dir: Götter, die Gott schauen.

Du bist dem Fleische nach mit uns verwandt, wir sind mit dir der Gottheit nach verwandt. Denn du hast in Leibeshülle dich gekleidet. Vereinigt aber wachsen wir zu einem Haus zusammen.

16

Wieder leuchtet mir das Licht. Wieder schau ich klar das Licht. Wieder schließt es mir den Himmel auf, und die Nacht verscheucht es mir. Wieder deckt’s mir alles auf und bringt mir alles an den Tag. Wieder schaue ich das Licht allein. Wieder hebt’s mich über alle Sichtbarkeit empor, und oh, desgleichen trennt es mich von allen Sinnendingen. Wieder weilt, der über allen Himmel ist, den keiner von den Menschen je gesehen, in mir. Nicht entriegelt er die Himmelstür, nicht bricht er Bahn sich durch die Nacht, nicht scheidet er das Luftgebild, und er versehrt das Dach des Hauses nicht, nein, ohne auch nur etwas zu durchdringen, weilt er bei mir, dem Armen, mitten in der Zelle mein und inmitten meines Geistes, und mitten in mein Herz hinein [oh, ein verehrenswert Mysterium!] fällt das Licht mir, und es verharret alles, wie es ist, und dieses Licht erhebt mich über alles. Und ich, der ich inmitten aller Dinge bin, bin allen Dingen nun entrückt, ja, glaube gar, dem Körper selbst entrückt. Hier bin ich gänzlich nun in Wahrheit ich, wo nur noch Licht um mich, ja, nur noch Licht. Da ich es schaue, werde ich von selber einfach, ohne Falten.

17

Es liebt mich jener, der in dieser Welt nicht ist. Und ich inmitten meiner Zelle schaue den, der außerhalb der Welt. Auf meiner Ruhstatt sitze ich, und außerhalb der Welt ist mein Verweilen. Den aber schaue ich, der immer ist und dennoch ward geboren. Mit ihm auch spreche ich. Ich liebe ihn, da jener mich ja liebt. Allein dass ich ihn schaue, ist mir ein köstlich Mahl, ist Nahrung mir. Mit ihm vereint erheb ich über Himmel mich. Auch weiß ich, dass dies wahr und sicher ist. Wo aber dieser Körper dann, das weiß ich nicht. Ich weiß, dass der herniedersteigt, der unbeweglich ist. Ich weiß, dass den ich schaue, der unschaubar ist. Ich weiß, dass der mich an sich nimmt, der weit von aller Kreatur entfernt. In seinen Armen weiß ich mich versteckt und außer aller Welt mich dann entdeckt. Und während ich im Leben lebe, weiß ich, dass das ganze Leben in mir herrscht und blüht, dass ich’s umfasse, dass ich nicht sterben werde. In meinem Herzen ist er, und im Himmel fehlt er nicht. Hier und dort seh ich in gleicher Weise ihn erstrahlen.

   1  Hymne 1
   2  Hymne 36
   3  Hymne 16
   4  Hymne 2
   5  Hymne 8
   6  Hymne 13
   7  Hymne 3
   8  Hymne 33
  9  Hymne 27
10  Hymne 21
11  Hymne 7
12  Hymne 26
13  Hymne 17
14  Hymne 17
15  Hymne 15
16  Hymne 27
17  Hymne 13

Symeon der Theologe, Licht vom Licht. Hymnen, Deutsch von Kilian Kirchhoff, Kösel-Verlag, München 1951