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Meister Eckhart

1

Die Liebe beginnt da, wo das Denken aufhört.

2

In der Liebe zu bleiben bedeutet Einlass zu finden in den Bezirk, wo alle Dinge eins sind.

3

Dass wir Gott nicht zwingen, wozu wir wollen, das liegt daran, dass es uns an zwei Dingen mangelt: an Demut vom Grunde des Herzens und an kräftigem Begehren. Ich sage bei meinem Leben: Gott vermag alle Dinge auf Grund seiner göttlichen Kraft; aber dem Menschen etwas zu verweigern, der diese beiden Dinge in sich hat, das vermag er nicht.

4

Ich bin euch Mensch gewesen, wenn ihr mir nicht Götter seid, so tut ihr mir Unrecht. Mit meiner göttlichen Natur wohnte ich in eurer menschlichen Natur, so dass niemand meine göttliche Gewalt kannte und man mich wandeln sah wie einen andern Menschen. So sollt ihr euch mit eurer menschlichen Natur in meiner göttlichen Natur bergen, dass niemand eure menschliche Schwäche an euch erkenne und dass euer Leben zumal göttlich sei, dass man an euch nichts erkenne als Gott.

5

Das wirkende Leben ist da etwas Besseres als das schauende, wo man in Liebe im Wirken ausschüttet, was man im Schauen eingebracht hat. Es ist hier nur ein Einziges vorhanden: Man greift ja nur hinein in den einen und selben Grund, wo auch das Schauen ist, und macht dessen Inhalt fruchtbar im Wirken. Ist da auch Veränderung, aus dem einen in das andere, es ist doch nicht mehr denn Eines: Es kommt aus einem Ende und geht wieder in dasselbe Ende!

Als ob ich in diesem Hause von einem Ende in das andere ginge: Das wäre wohl Veränderung und doch nur Eines in Einem. So auch in dem Zustand des Wirkens hat man in Gott nichts anderes wie einen Zustand des Schauens. Sie finden einer im andern ihre Ruhe und Vollendung: Der einige Zustand des Schauens ist angelegt auf das Fruchtbarwerden im Wirken. Im Schauen dienst du nur dir selber, in guten Werken aber dienst du den Vielen.

6

Wenn die Seele zur Vereinigung mit Gott gelangt, erst dann ist der Leib vollkommen dazu gelangt, dass er alle Dinge zu Gottes Ehre genießen kann. Denn um des Menschen willen sind alle Kreaturen ausgeflossen, und was der Leib vernünftig von den Kreaturen genießen kann, das ist für die Seele kein Abfall, sondern eine Erhöhung ihrer Würde, denn die Kreatur könnte keine edlere Mündung finden, um wieder zu ihrem Ursprung zu gelangen, als den rechten Menschen, der einen Augenblick seiner Seele gestattet, dass er in die Vereinigung mit Gott hinaufgezogen wird.

Denn zwischen Gott und der Seele ist dann kein Hindernis, und sofern die Seele Gott in die Wüste der Gottheit folgt, sofern folgt der Leib dem lieben Christus in die Wüste der freiwilligen Armut, und wie die Seele mit der Gottheit vereint ist, so ist der Leib mit der Wirkung wahrer Tugend in Christus vereint. So kann der himmlische Vater wohl sprechen. „Dies ist mein lieber Sohn, in dem ich mir selber wohl gefalle.“

7

Wenn sich der Mensch von sich selbst und von allen geschaffenen Dingen abkehrt, so weit du das tust, so weit wirst du geeint und beseligt in dem Fünklein der Seele, das nie Zeit oder Raum berührt hat. Dieser Funke entzieht sich allen Kreaturen und will nur Gott, wie er an sich selbst ist. Er begnügt sich nicht mit Vater oder Sohn oder heiligem Geist, und nicht mit den drei Personen, sofern jede für sich in ihrer Eigenschaft dasteht. Ich sage wahrlich, eben dieses Licht begnügt sich nicht mit der Eigenhaftigkeit der fruchtbaren Beschaffenheit der göttlichen Natur. Ich will noch mehr sagen, was noch wunderbarer lautet: Ich sage in guter Wahrheit, dieses Licht begnügt sich nicht mit dem einfachen stillstehenden göttlichen Wesen, das weder gibt noch nimmt, sondern es will wissen, woher dieses Wesen kommt, es will in den einfachen Grund, in die stille Wüste, wohin nie etwas Unterschiedenes, weder Vater noch Sohn noch heiliger Geist, gedrungen ist; in dem Innigsten, wo niemand heimisch ist, da begnügt es sich in einem Licht, und da ist es einiger als in sich selbst; denn dieser Grund ist eine einfache Stille, die in sich selbst unbeweglich ist, und von dieser Unbeweglichkeit werden bewegt und da empfangen ihr ganzes Leben alle Dinge, die vernünftig leben und sich in sich selbst versenkt haben.

8

Als ich in Dir war, da war ich unbedürftig in meinem Nichts, und Dein Angesicht, dass Du mich ansahst, das machte mich bedürftig.

Wenn das ein Tod ist, dass die Seele von Gott scheidet, so ist auch das ein Tod, dass sie aus Gott geflossen ist. Daher sterben wir von Zeit zu Zeit, und die Seele stirbt allsterbend in dem Wunder der Gottheit, da sie göttliche Natur nicht erfassen kann. In dem Nichts stürzt sie hinüber und wird zunichte. In diesem Nichtsein wird sie begraben, und mit Unerkenntnis wird sie vereint in den Unbekannten, und mit Ungedanken wird sie vereint in den Ungedachten, und mit Unliebe wird sie vereint in den Ungeliebten.

Was der Tod erfasst, das kann ihm niemand mehr nehmen: Er scheidet das Leben vom Körper und scheidet die Seele von Gott und wirft sie in die Gottheit und begräbt sie in ihr, so dass sie allen Kreaturen unbekannt ist. Da wird sie als Verwandelte im Grab vergessen, und sie wird unbegreiflich allen Begreifern. Wie Gott unbegreiflich ist, so unbegreiflich wird sie. So wenig man die Toten begreifen kann, die hier vom Körper sterben, so wenig kann man die Toten begreifen, die in der Gottheit tot sind.

Diesen Tod sucht die Seele ewiglich. Wenn die Seele in den drei Personen getötet wird, dann verliert sie ihr Nichts und wird in die Gottheit geworfen. Da findet sie das Antlitz ihres Nichts. Darüber spricht unser Herr: „Meine Unbefleckte, du bist gar schön.“ Und von der Unbegreiflichkeit seiner Schönheit spricht sie: „Du bist noch schöner.“

9

Die Werke, die der Mensch von innen wirkt, sind lustvoll, sowohl dem Menschen wie Gott, und sind sanft und heißen lebendige Werke. Sie sind Gott deswegen wert, weil er es allein ist, der die Werke in dem Menschen wirkt, die von innen gewirkt werden. Diese Werke sind auch dem Menschen süß und sanft, denn alle die Werke sind dem Menschen süß und lustvoll, wo Leib und Seele miteinander einhellig werden. Und das geschieht in allen solchen Werken. Diese Werke heißen auch lebendige Werke, denn das ist der Unterschied zwischen einem toten Tier und einem lebenden Tier, dass das tote Tier nur von einer äußern Bewegung bewegt werden kann, das heißt: wenn man es zieht oder trägt, und darum sind alle seine Werke tote Werke.

Aber das lebende Tier bewegt sich selbst, wohin es will, denn seine Bewegung geht von innen aus, und alle seine Werke sind lebende Werke. Recht in gleicher Weise heißen alle Werke der Menschen, die ihren Ursprung von innen nehmen, wo Gott allein bewegt, und die von dem Wesen kommen, unsere Werke und göttliche Werke und nützliche Werke. Aber alle die Werke, die aus einer äußeren Ursache und nicht aus dem innern Wesen geschehen, die sind tot und sind nicht göttliche Werke und sind nicht unsere Werke. Alle die Werke, die der Mensch von innen wirkt, sind auch willkürliche Werke. Was nun willkürlich ist, das ist angenehm, und darum sind alle Werke, die von innen geschehen, angenehm, und alle die Werke, die infolge äußerer Bewegung geschehen, sind unwillkürlich und sind knechtisch, denn wäre das Ding nicht, das von außen bewegt, so geschähe das Werk nicht, und darum ist es unwillkürlich und knechtisch und unangenehm.

10

Die Lehrer loben gar gewaltig die Liebe, wie zum Beispiel Sankt Paulus mit den Worten: „Was ich auch üben mag, habe ich nicht Liebe, so habe ich gar nichts.“ Ich aber lobe die Abgeschiedenheit mehr als alle Liebe.

Zum Ersten darum, weil das Gute an der Liebe ist, dass sie mich zwingt, Gott zu lieben. Nun ist es viel mehr wert, dass ich Gott zu mir zwinge, als dass ich mich zu Gott zwinge. Und das kommt daher, dass meine ewige Seligkeit daran liegt, dass ich und Gott vereinigt werden; denn Gott kann sich passender mir anpassen und besser mit mir vereinigen als ich mit ihm. Dass Abgeschiedenheit Gott zu mir zwingt, das bewähre ich damit: Ein jedes Ding ist doch gerne an seiner natürlichen Eigenstätte. Nun ist Gottes natürliche Eigenstätte Einfachheit und Reinheit; die kommen von der Abgeschiedenheit. Darum muss Gott notwendig sich selbst einem abgeschiedenen Herzen hingeben.

Zum Zweiten lobe ich die Abgeschiedenheit mehr als die Liebe, weil die Liebe mich dazu zwingt, alles um Gottes willen auf mich zu nehmen, während die Abgeschiedenheit mich dazu zwingt, dass ich für nichts empfänglich bin als für Gott. Nun steht es aber viel höher, für gar nichts als Gott empfänglich zu sein, als um Gottes willen alles zu ertragen. Denn in dem Leiden hat der Mensch noch einen Hinblick auf die Kreatur, von der er zu leiden hat. Die Abgeschiedenheit dagegen ist aller Kreatur entledigt. Dass aber die Abgeschiedenheit für nichts als für Gott empfänglich ist, das beweise ich: Denn was empfangen werden soll, das muss irgendworin empfangen werden. Nun ist aber die Abgeschiedenheit dem Nichts so nahe, dass kein Ding so zierlich ist, dass es in der Abgeschiedenheit enthalten sein kann als Gott allein. Der ist so einfach und zierlich, dass er wohl in dem abgeschiedenen Herzen sich aufhalten kann.

Nun könntest du fragen, was denn die Abgeschiedenheit sei, wenn sie so edel an sich selbst ist? Nun sollst du erfahren, dass richtige Abgeschiedenheit nichts anderes ist, als dass der Geist gegen alle Umstände, sei es Freude oder Leid, Ehre, Schaden oder Schmach, so unbeweglich bleibt wie ein breiter Berg gegen einen kleinen Wind. Diese unbewegliche Abgeschiedenheit bringt den Menschen die größte Gleichheit mit Gott. Denn dass Gott Gott ist, das hat er von seiner unbeweglichen Abgeschiedenheit, und davon hat er seine Reinheit und seine Einfachheit und seine Unwandelbarkeit. Will daher der Mensch Gott gleich werden, soweit eine Kreatur Gleichheit mit Gott haben kann, so muss er abgeschieden sein.

Du sollst wissen: Leer sein aller Kreaturen ist Gottes voll sein, und voll sein aller Kreatur ist Gottes leer sein. Du sollst ferner wissen, dass Gott in dieser unbeweglichen Abgeschiedenheit vorweltlich gestanden ist und noch steht, und sollst wissen, als Gott Himmel und Erde erschuf und alle Kreaturen, das ging seine unbewegliche Abgeschiedenheit so wenig an, als ob er nie Kreaturen geschaffen hätte. Ich sage mehr noch: Von allen Gebeten und guten Werken, die der Mensch in der Zeit wirken kann, wird Gottes Abgeschiedenheit so wenig bewegt, als ob nirgends in der Zeit ein Gebet oder ein gutes Werk geschähe, und Gott wird gegen den Menschen dadurch so wenig huldvoller oder geneigter, wie wenn das Gebet oder die guten Werke nicht vor sich gegangen wären.

Nun frage ich: Was ist des abgeschiedenen Herzens Gebet? Ich antworte: Abgeschiedenheit und Reinheit kann nicht bitten, denn wer bittet, der begehrt etwas von Gott, was ihm zuteil werde, oder was Gott ihm abnehmen soll. Nun begehrt aber das abgeschiedene Herz nach nichts und hat auch nichts, dessen es gerne ledig wäre. Darum ist es allen Gebets entledigt, und sein Gebet ist nichts anderes als mit Gott einförmig.

Sankt Augustin spricht: Die Seele hat einen himmlischen Eingang in die göttliche Natur, wo ihr alle Dinge zunichte werden. Dieser Eingang ist auf Erden nichts anderes als reine Abgeschiedenheit. Und wenn die Abgeschiedenheit aufs Höchste kommt, so wird sie aus Bewusstsein bewusstlos und aus Liebe lieblos und vor Licht finster.

Wer in dieser Zeit zum höchsten Leben kommen will, der nehme mit kurzen Worten aus dieser ganzen Schrift die Lehre, mit der ich schließe:

Halte dich rein von allen eingezogenen Bildern, befreie dich von alledem, was Unfall, Haft und Kummer bringen kann, und richte dein Gemüt allzeit auf ein tugendhaftes Schauen, in dem du Gott in deinem Herzen trägst als stetes Ziel, von dem deine Augen niemals ablassen. Wenn aber dieser Anblick dir entzogen wird, so soll dir, wenn du ein guter Mensch bist, zumute sein, als ob dir deine ewige Seligkeit genommen wäre, und du sollst bald zu ihm wiederkehren, damit er dir wieder werde, und du sollst allzeit auf dich selbst Acht haben, und dein Ziel und deine Zuflucht soll darin sein, so sehr es dir möglich ist.

11

Ich habe ein Wörtlein gesprochen auf Lateinisch, das steht geschrieben im Hohen Liede, und lautet also zu deutsch: „Die Liebe ist stark wie der Tod.“

Drei Dinge müssen wir ins Auge fassen, die der leibliche Tod am Menschen tut, welche auch die Liebe zuwege bringt am Geist des Menschen. Das erste: dass er dem Menschen raubt und wegnimmt alle vergänglichen Dinge, so dass er sie hinfort nicht wie bisher besitzen noch benützen kann. Das zweite: dass man Abschied nehmen muss auch von allen geistlichen Gütern, deren Leib und Seele sich erfreuen möchten. Das dritte: dass der Tod den Menschen heraushebt aus allem Lohn und Würdigkeit, die er sich noch verdienen könnte.

Dieser drei Dinge müssen wir gewärtig sein von dem Tode, der da ist eine Scheidung Leibes und der Seele. Da nun die Liebe stark ist wie der Tod, so tötet auch sie den Menschen in geistigem Sinne und scheidet die Seele auf ihre Weise von dem Leibe. Und zwar geschieht dies dann, wenn sich der Mensch völlig aufgibt und sich seines Ichs entschlägt, und so sich von sich selber scheidet. Dies aber geschieht durch die außermaßen hohe Kraft der Liebe, die so lieblich zu töten weiß. Wie sie denn auch bezeichnet wird als die süße Krankheit und ein lebendiger Tod. Denn dies Sterben ist ein Eingießen des ewigen Lebens, ein Tod aber des fleischlichen Lebens, darin der Mensch immer wieder darauf aus ist, sich selber zu leben zu seinem Eigennutz.

Zum Ersten scheidet dieser Tod, das ist: die Liebe, den Menschen vom Vergänglichen: von Freunden, Gut und Ehren, und von allen Kreaturen, also, dass er nichts mehr besitzt noch benützt nur seinetwegen, und kein Glied mehr rührt zu eigenem Nutz und Willen, mit vorbedachtem Mut. – Ist dies erreicht, so fängt die Seele alsbald an zu suchen und auszuschauen nach geistlichen Gütern, nach Andacht, Gebet, Tugend, Verzückung, nach Gott. In diesen lernt sie sich üben und ihrer mit Wonne zu genießen, über alles, das ihr vorher lieblich schmeckte. Denn diese geistlichen Güter gehen sie von Natur näher an als die lieblichen. Und da nun einmal Gott die Seele also geschaffen hat, dass sie nicht ohne Trost bestehen kann, darum, wenn sie sich der leiblichen Freuden kurzerhand entschlagen und sich auf die geistlichen verlegt hat, so sind alsbald diese ihr so wonnesam, dass sie viel widerwilliger von denen scheiden mag, als vorhin von den leiblichen. Denn das wissen die wohl, die es selber erlebt haben: dass es oft viel leichter wäre, diese ganze Welt aufzugeben, als einen Trost, ein inniges Gefühl, wie es einem zuweilen zuteil wird im Gebet oder anderen geistlichen Übungen.

Doch dies alles ist noch kaum ein Anfang gegenüber dem, was hernach folgt und fürder die Liebe wirkt am Menschen. Denn ist die Liebe wirklich „stark wie der Tod“, so wirkt sie zum andern Mal, dass sie den Menschen aufzugeben und Abschied zu nehmen zwingt auch von allem geistlichen Trost, von solchen Gütern, wie davor gesagt, also, dass der Mensch sich frank und frei darein ergibt, für Gott alles im Stich zu lassen, woran seine Seele bisher Luft gehabt hatte, es zu genießen oder auch nur zu ersehnen. Ach Gott!, wer könnte dies fertig bringen, die Liebe zu Dir zwinge ihn denn: dass er Dich um Deinetwillen fahren lassen und sich Deiner um Deinetwillen entschlage. Was könnte man auch Gott Besseres und Köstlicheres als Opfer bringen, denn, um seinetwillen, ihn selber! Aber wie seltsam doch, dass man zu ihm mit ihm als Gabe kommen und mit ihm selber für ihn zahlen solle, wo es doch leider schon so wenige gibt, die sich der vergänglichen leiblichen Güter zu entschlagen gewillt sind, und die auch dann noch häufig sich zu mancherhand Dingen gezogen fühlen, die nur von außen an sie kommen. Wie viel seltener sind erst die, die die geistlichen Güter willig lassen mögen, gegen die doch alles leibliche Gut für nichts zu rechnen ist. Denn Dich, Herr, besitzen [spricht ein Lehrer] ist besser als alles, was die Welt je bot, noch jemals bieten wird, vom Anbeginn bis auf den jüngsten Tag!

Wiewohl aber solche Gelassenheit etwas gar Hohes und aus der Maßen selten ist, so gibt es doch noch einen Grad, der noch viel stolzer und vollkommener den Menschen emporträgt in sein letztes Ziel, und den wirkt die Liebe, die da stark ist wie der Tod, der uns das Herz bricht. Und das ist, so der Mensch auch auf das ewige Leben Verzicht leistet und den Schatz der Ewigkeit, auf alles, was er von Gott und seinen Gaben dereinst etwa besitzen könnte, also, dass er dieses, für sich und um seinetwillen, nie mehr ausdrücklich und vorsätzlich sich zum Ziele nehme und ihm frohne, und die Hoffnung auf das ewige Leben ihn hinfort nicht rühre noch erfreue oder ihm seine Mühsal leichter mache.

Dies erst ist der rechte Grad wahrer und vollkommener Gelassenheit. Und in solche Entnommenheit nimmt uns allein die Liebe, die stark ist wie der Tod: und tötet den Menschen in seinem Ich und scheidet die Seele vom Leibe, also, dass sie mit dem Leibe noch sonst welchen Dingen nichts mehr zu schaffen will haben zu eigenem Gewinn. Und damit scheidet sie sich überhaupt von dieser Welt und fährt dahin, wohin sie es verdient hat. Und wohin hat sie anders verdient hinzufahren, als in Dich, o ewiger Gott, da Du ihr Leben sein musst um dieses Sterben durch die Liebe.

12

Das einig Eine, das in sich selbst in dunkler Stille schwebt, ist ohne ein Bedürfen. Niemand kann es verstehen, doch in seiner Selbstheit ist es offenbar. Das Licht ist das Erste in der Ursprünglichkeit, das den Geist hinausführt aus seinem Wesen in die Verborgenheit, allbleibend, eingezogen, in die Dunkelheit versunken. Allda wird er verlocket, allda wird er des Lichtes Dunkelheit entkleidet, allda verliert er beide in der Abgründlichkeit, allda wird das verborgene Wesen, der Geist, in der Einheit entfremdet, und doch ist’s sein Leben.

O grundlos tiefer Abgrund, in deiner Tiefe bist du hoch, in deiner Höhe tief! In dieser Klarheit ist der Geist über seine Selbstheit, ihn hat die Dreieinigkeit an sich gezogen. Da stirbt der Geist allsterbend im Wunder der Gottheit, denn er hat in der Einheit keine Unterschiedenheit; das Persönliche verliert seinen Namen in der Einheit. Wo der Geist in der Einheit auf nichts beruht, da verliert er in göttlicher Art jedes Mittel. Des Lichts wie der Dunkelheit ist er entledigt, der Materie wie der Form. Ein Fünklein, so nackt, wie es erschaffen ist, ein Nichts von seinem Nichts, das wird vom Etwas seines Nichts eingezogen. Eben das Nichts ist Nacktheit im Wesen der Person, das den Geist wegführt und in die Einheit schweben lässt. In dem Unbegreifen der hohen Einheit, die alle Dinge außer sich in ihrer Selbstheit vernichtet, ist Eins ohne Unterschiedenheit und doch ein Etwas, das aus ihrer Selbstheit geschaffen ist. Dieses Eine, das ich hier meine, ist wortlos. Eins und eins vereint leuchtet da nackt in nackt. Wo die zwei Abgründe in einer Gleichheit schweben, gegeistet und entgeistet, da ist ein hohes Wesen; wo sich Gott entgeistet, da ist Dunkelheit in einer unerkannten bekannten Einheit. Das ist uns verborgen in der Tiefe seiner Stille. Alle Kreaturen ergründen nicht das Etwas.

1, 2  nicht erinnerlich
3, 4, 6, 7, 8, 9, 10, 12  Gustav Landauer, Meister Eckhart. Mystische Schriften, Insel Verlag, Frankfurt am Main 1991
5, 12  Hermann Büttner, Meister Eckhart. Schriften, Eugen Diederichs Verlag, Jena 1938

Meister Eckhart