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Einzelstimmen III

Lucius Annaeus Seneca

1

Wer könnte frei bekennen, er habe noch gegen kein einziges Gesetz verstoßen? Und wäre es der Fall, was für eine begrenzte Unschuld ist es, nach dem Gesetz gut zu sein?! Wie viel weiter reichen die Gebote der Pflicht als die des Rechts?! Wie viel fordern Nächstenliebe, Menschlichkeit, Freigebigkeit, Gerechtigkeit und Treue – und das steht nicht auf den Gesetzestafeln.

2

Ich will so leben, als wüsste ich, dass ich für andere geboren bin, und der Natur dafür dankbar sein. Mich einen hat sie allen geschenkt, mir einem alle. Und wenn die Natur mein Leben von mir zurückfordert, will ich mit dem Bekenntnis aus ihm scheiden, dass ich mein gutes Gewissen liebte, gute Bücher, und dass ich niemandes Freiheit beschnitten habe, am wenigsten meine eigene.

Johannes Cassian

Wer seinen Willen dem des anderen unterwirft, ist im Allgemeinen der stärkere Partner, als wer hartnäckig an seinen Behauptungen festhält und sie verteidigt.

Wer den anderen aushält und erträgt, zeigt sich stark; wer dagegen schwach, fast krankhaft veranlagt ist, den muss man vorsichtig und sanft behandeln; manchmal muss man dem anderen um seiner Ruhe, seines Friedens und Heils willen auch in notwendigen Dingen nachgeben.

Niemand soll dann glauben, er habe etwas von seiner Vollkommenheit verloren, weil er wider Willen einen Kompromiss eingegangen ist; vielmehr soll einer wissen, dass er die Gabe der Geduld und der Langmut erlangt hat.

Heinrich von Kleist

So viele Erfahrungen hatten die Wahrheit in mir bestätigt, dass die Liebe immer unglaubliche Veränderungen in dem Menschen hervorbringt. Ich habe schwache Jünglinge durch die Liebe stark werden sehen, rohe ganz weichherzig, unempfindliche ganz zärtlich. Jünglinge, die durch Erziehung und Schicksal ganz vernachlässigt waren, wurden fein, gesittet, edel, frei; ihr ganzes Wesen erlitt schnell eine große Reform, und gewöhnlich fing sie bei dem Anzuge an; sie kleideten sich sorgsamer, geschmackvoller, gewählter. Dann kam die Reform an dem Körper, seine Haltung ward edler, sein Gang sichrer, seine Bewegungen zierlicher, offner, freimütiger, und hierbei blieb es, wenn die Liebe nicht von der höheren Art war.

Aber war sie es, so kam nun auch die große Revolution an die Seele; Wünsche, Hoffnungen, Aussichten, alles wechselte; die alten rohen Vergnügungen wurden verworfen, feinere traten an ihre Stelle. Die vorher nur in dem lauten Gewühl der Gesellschaft, bei Spiel und Wein, vergnügt waren, überließen sich jetzt gern in der Einsamkeit ihren stillen Gefühlen. Statt der abenteuerlichen Ritterromane ward eine simple Erzählung von Lafontaine oder ein erhebendes Lied von Hölty die Lieblingslektüre. Nicht mehr wild mit dem Pferde strichen sie über die Landstraßen, still und einsam besuchten sie schattige Ufer oder freie Hügel und lernten Genüsse kennen, von deren Dasein sie sonst nichts ahndeten.

Tausend schlummernde Gefühle erwachten, unter ihnen die Wohltätigkeit meistens am lebhaftesten; wo ein Hilfloser lag, da gingen sie, ihm zu helfen; wo ein Auge in Tränen stand, da eilten sie, sie zu trocknen; alles was schön ist und edel und gut und groß, das fassten sie mit offner, empfänglicher Seele auf, es darzustellen in sich. Ihr Herz erweiterte sich, die Seele hob sich ihnen unter der Brust, sie umfassten irgendein Ideal, dem sie sich verähnlichen wollten.

Jean Vanier

Lieben ist weder schöne Dinge zu tun noch Hilfe zu leisten. Lieben ist die Schönheit zu enthüllen, dem anderen zu offenbaren, dass er kostbar ist, dass er einen Wert hat und dass er einen Sinn in seinem Leben hat. Jemanden lieben heißt ihm zu sagen: „Ich freue mich über deine Gegenwart.“

Unbekannt

Alle Sorgen des Alltags wieg ich auf mit der Liebe zu dir.
Du bist die Freude meines Herzens.
Wenn ich dich höre, sehe oder spüre,
verschmelzen meine Gedanken zu Dankbarkeit.

Schwöre mir nicht deine Liebe und verschreibe mir nicht deinen Leib.
Sei nur du selbst, und ich werde glücklich sein.

Lucius Annaeus Seneca, Johannes Cassian: Quellen nicht erinnerlich
Heinrich von Kleist: Brief an Louise von Zenge, 11. Jänner 1801
Jean Vanier, mit freundlicher Zustimmung