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Franz von Baader

1

Der Kaufmann schreibt jeden Empfang von seinem Handelsfreund sich zur Last oder ins Debet, so wie er alles, was er diesem gibt, ihm zur Last oder sich ins Credit schreibt. Auf gleiche Weise führt die Liebe ihr Handelsbuch. Indem nämlich die Geliebte sich mir gibt, bin ich mich ihr schuldig geworden, und indem ich mich der Geliebten gebe [ihr gebend], ist sie sich mir schuldig geworden. Aber auch Gott kann sich mir nicht geben, wenn ich mich nicht ihm gebe, lasse, mich auf ihn verlasse oder glaube. Er kann sich aber auch mir nicht entziehen, wenn ich, ihm glaubend, mich ihm gebe, und er sich mir hiemit gleichsam schuldig geworden ist.

2

Indem ich die Geliebte besitze, beherrsche ich sie und bin ihr Herr. Indem sie mich besitzt, beherrscht sie mich und ist meine Herrin. Kann ich dem, den ich liebe, eine Freude machen, so werde ich hiemit eines Bedürfnisses, eines Leidens los, und kann ich ihm ein Leiden abnehmen, so empfange ich hiemit eine Freude. Im einen und anderen Falle bin ich also dem Geliebten so viel Dank schuldig als er mir, und man kann in dieser Hinsicht sagen, dass die Liebe alles mit doppelter Kreide anschreibt.

3

Man könnte darum auch sagen, dass ein Liebender seiner Geliebten schon dafür dankbar ist, dass sie sich von ihm lieben lässt. Aber genauer besehen zeigt sich’s, dass ich nur jene Person lieben und nur jene Person sich von mir lieben lassen kann, die mich hinwieder liebt.

4

Nur die Liebe macht wahrhaft freisinnig [liberal], denn nur der Liebende trennt das Recht [das Herrschen] nicht von der Pflicht [dem Dienen], das Besitzen nicht vom Besessensein oder Sichbesitzenlassen.

5

Nichts ist einfältiger, als an eine effektive oder gelungene Selbstliebe zu glauben, weil man sich doch so wenig selber lieben als sich selber umarmen kann. Der sich selbst lieben und sich selber bewundern Wollende sucht eigentlich nur durch Zeugnisse von anderen sich seine Zweifel an eigener Liebenswürdigkeit und Bewunderungswürdigkeit zu widerlegen, was ihm aber nie gelingt und wobei er innerlich doch immer leer ausgeht.

6

Der Geber ist nicht die Gabe, und diese nicht jener, und doch gibt der Geber in der Gabe sich selber, insofern er liebt, und der Empfänger empfängt den Geber der Gabe, insofern er ihn liebt. Gebe ich in meiner Gabe dir nicht mich selber [mein Herz], so liebe ich dich nicht, und nimmst du in ihr nicht mich selber, so liebst du mich nicht.

7

Lieben ist so sehr Dienen dem Geliebten, dass umgekehrt der Dienst leicht Liebe hervorbringt. Liebe ist Gernetun, Leiden und Entbehren für den Geliebten, und wer nichts mehr für ihn zu tun, zu entbehren und zu leiden hätte oder wüsste, der hörte auf zu lieben.

8

Nicht der Dienst macht unfrei und erniedrigt, sondern nur jener Dienst, welcher Achtung und Liebe tilgt. Der Liebesdienst ist darum der befreiende und ehrende oder erhebende, und nichts kann törichter sein, als die Menschen durch Dienstlosigkeit und folglich Lieblosigkeit frei machen zu wollen.

9

Nicht die sichtbare, greifliche Speise ist es, die uns eigentlich speist und nährt, sondern eine unsichtbare, heimliche Kraft, welche in ihr verhüllt oder inkognito ist und durch welche, so wie wir die Speise in uns nehmen und auswirken, jene Mächte in effektive Gemeinschaft mit uns treten, welche Mächte zu diesem Zwecke diese Speise erzeugten. Wenn die Sonne am Himmel mit ihrem Licht und Wärme die Pflanzen speist, segnet und kommuniziert – denn was die Sonne nicht gesegnet oder konsekriert hat, das gibt kein Gedeihen –, so sagt sie gleichsam zu ihnen: „Nehmet und esset, das bin ich. “ Sie zerreißt sich aber in diesen unzähligen Hostien nicht und bleibt am Himmel dieselbe.

Eine andere Person als solche kann ich als Person freilich nicht unmittelbar besitzen oder genießen, sie setze sich mir denn zum unpersönlichen Gut und Sache herab. In diesem Sinn ist jedes Sich-Geben dem Liebenden ein Sich-Opfern dem Geliebten. Ohne die Einsicht in dieses beständige Sich-ineinander-Übersetzen und Wieder-Zurücknehmen des Selbstisch-Persönlichen in die selbstlose Natur, ohne diese Einsicht in diesen sich verselbstigenden und entselbstigenden Prozess versteht man nichts von beiden.

Hieraus begreift man denn auch die ursprünglich androgyne Natur des Geistes, oder dass jeder Geist als solcher seine Natur in sich hat und nicht außer sich: Wie denn die wahre Liebe nur damit wirklich wird, dass beide Liebende wechselweise ihr verselbstigendes und entselbstigendes Vermögen in Wirksamkeit setzen, dessen Vorhandensein also in beiden vorausgesetzt wird.

10

Eigentlich nährt oder substanziiert ein Herz nichts als wieder ein Herz, und bei aller anderen Speise oder Genuss geht das Herz leer aus. Wie nun der Mensch nur vom Menschen lebt und isst, so kann ein Mensch dem andern auch Gift und Tod sein. Wie töricht sind darum die Menschen zu nennen, wenn sie so sorgfältig und skrupulös in der Wahl ihrer Magenspeisen sind und so unachtsam und gleichgültig in jener ihrer Herzensspeise.

11

Gäbe es kein Zentralherz, und könnten die Menschen nicht gemeinschaftlich sich von und in diesem Herzen substanziieren und restaurieren, so würden sie auch nicht wechselseitig sich voneinander substanziieren können.

12

Es kann nicht bloß Leichtsinn oder Zufall, sondern selbst ein Verbrechen sein, was die Menschen zusammenführt, woraus aber nicht folgt, dass auch ihr Zusammenbleiben ein Zufall oder Verbrechen ist, weil es in der Macht des Menschen liegt, aus einer schlechten Veranlassung ein Besseres zu machen. So bringen zum Beispiel Not oder niedriges Bedürfnis die Menschen zusammen, aber die gewordene Verbindung bleibt, während die Not vorübergeht. So ist uns jede natürliche Liebe als ein Unmittelbares gegeben, zugleich aber aufgegeben, durch vermittelndes Selbsttun ein Besseres aus ihr zu erwirken.

13

Du klagst über die Vergänglichkeit und also Eitelkeit all dieser Lieben, während du das Vergängliche zum Unvergänglichen hättest machen können und sollen, indem du es zeitfrei machtest, anstatt umgekehrt gleichsam die Zeit damit zu füttern.

Franz von Baader, Vierzig Sätze aus einer religiösen Erotik, bei Georg Franz, München 1831