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Meister Eckhart

Von der Unbedürftigkeit

„Wir sollen haben, als hätten wir nicht, und sollen doch alle Dinge besitzen“; so verlangt es der edle Lehrer Sankt Paulus. Der hat ohne Eigenhaft, der keinerlei Anspruch erhebt, weder auf das eigene Selbst noch auf das, was außer ihm ist, nicht einmal auf Gott.

Willst du wissen, was berechtigtermaßen ein ,armer Mensch’ ist?

Der ist wirklich ,arm im Geist’, der alles das wohl entbehren mag, was nicht nötig ist. Das hat, dem Sinne nach, schon Diogenes gesagt, der in seiner Tonne nackt saß, und zwar zum großen Alexander, der alle Welt unter sich hatte. „Ich bin“, sprach er, „ein viel größerer Herr als du. Denn ich habe mehr ausgeschlagen, als du in Besitz genommen hast. Was du für groß achtest zu besitzen, das ist mir zu gering, es erst noch ausdrücklich zu verschmähen.“ Der ist viel seliger, der der Dinge nicht bedarf, als wer auf ihnen sitzt als auf lauter Unentbehrlichkeiten. Der ist der Beste, der dessen entraten kann, was für ihn nicht Notdurft ist. So auch, wer am meisten verschmähen kann, der hat am meisten gelassen. Es nimmt sich gewiss stattlich aus, wenn einer zu frommen Zwecken tausend Mark Goldes hergibt und reichlich mit seinem Gelde Klausen und Klöster baut und alle Armen speist. Aber der wäre viel seliger, der ebensoviel von Gottes wegen verschmähte. Der Mensch besäße ein rechtes Himmelreich, der um Gott sich aller Dinge zu entschlagen fähig wäre, gleichviel was Gott ihm gäbe oder nicht.

So sprichst du: „Ja, Herr, wenn’s nur an einem nicht scheiterte: an meinen Schwächen!“

Hast du Schwächen, so bitte Gott öfters, ob es denn nicht seine Ehre erfordere und ihm gefallen möchte, dass er sie dir abnehme, da du’s doch ohne ihn nicht vermagst. Nimmt er sie dir ab, so dank ihm. Und tut er’s nicht, so trägst du’s nunmehr von ihm her: Nicht mehr als sündige Schwäche, sondern als förderliche Übung, an der du ein Verdienst erwerben und Geduld üben sollst. Sei du zufrieden, ob er dir eine Bitte gewährt oder nicht: Er gibt einem jeglichen, wie es sein Bestes ist und für ihn passt. Soll man einem einen Rock zuschneiden, muss man ihn machen nach seinem Maß: Der dem einen passt, der passt dem andern noch lange nicht; man misst einem jeglichen besonders an. So gibt auch Gott einem jeden das Beste, wie’s seiner überlegenen Einsicht nach für ihn am Platze ist. Fürwahr, wer ihm hierin nur völlig vertraut, der nimmt und hält in der kleinsten Gabe so viel wie in der größten. Wollte mir Gott geben, was er dem Paulus gab, ich ließ mir’s weiß Gott gern gefallen. Doch da er mir’s nun einmal nicht geben will – denn nur verschwindend wenig Leuten bestimmte er, in diesem Leben schon dergleichen zu erfahren –, weil er das mir nicht gibt, darum bleibt er mir genau so lieb, sag ihm genauso Dank und bin’s genauso gut zufrieden, dass er mir’s vorenthält, wie wenn er’s mir gibt. Einfach sein Wille wird mir genug sein. Überhaupt sollte mir sein Wille so lieb und wert sein: Wo er es anders will, dass mir das lieber wäre, als wenn er mir die Gabe gegeben, in mir sich betätigt hätte. So trüg ich alle Gaben in mir und alles Wesen: Gott und alle Kreatur mögen dann ihr Bestes oder ihr Bösestes dazu tun, sie können mir’s mitnichten benehmen. Wie kann ich da klagen, wo aller Menschen Gaben mein Eigen sind? Wahrlich, so wohl fühl ich mich bei dem, was mir Gott tut, gibt oder nicht gibt, dass ich’s nicht mit einem Heller vergelten wollte, würd’ mir ein Leben beschieden, wie ich mir’s etwa als bestes erdenken möchte.

Nun sprichst du: „Ich fürchte, ich setz nicht genug Fleiß daran und bewahr mich nicht, wie ich möchte.“

Das lass dir leid sein, aber leid es mit Geduld und nimm’s für eine Übung, so wirst du Frieden haben. Gott leidet gerne Schmach und Ungemach und will seines Dienstes und Lobes gern entbehren, damit die in sich Frieden haben, die sich ihm widmen und hingegeben sind. Warum also sollten wir nicht Frieden haben, mag er uns geben oder mögen wir entbehren müssen? „Selig die da leiden um der Gerechtigkeit willen“, so steht geschrieben, unser Herr selber sagt’s. Fürwahr, könnte ein Dieb, den man im Begriff steht zu hängen, der’s auch ehrlich verdient hätte, weil er gestohlen hat, oder ein Mörder, den man eben nach Gebühr entleiben will, könnten die sich in ihrem Gemüt zu der Einsicht hinfinden: ,Sieh, du willst es leiden um der Gerechtigkeit willen, da man dir nur recht tut’, sie würden ohne Umstände selig. Mögen wir noch so ungerechte Leute sein: Nehmen wir von Gott, was er uns tut, als von ihm aus gerecht, leiden wir „um der Gerechtigkeit willen“, so sind wir selig. Dann aber klage auch nicht. Darüber klage allein, dass du noch klagst. Dass du noch nicht zufrieden bist, darüber beklage dich. Dass du zu viel hast. Denn wem recht wär, der empfinge genauso im Darben wie im Haben.

Nun sprichst du: „Ei sieh! Gott wirkt doch so Großes in manchen Leuten, sie werden dermaßen mit göttlichem Wesen überkleidet: Gott handelt in ihnen, nicht mehr sie!“

Da danke Gott von ihnen aus, und gibt er dir’s, in Gottes Namen, so nimm’s. Gibt er dir’s nicht, so musst du eben gutwillig darauf verzichten und alles ihm überlassen. Beschwer dich auch nicht mit der Frage, ob Gott deine Werke wirke oder du: Gott muss sie wirken, sobald nur er dein Ziel, mag er wollen oder nicht.

Kümmere dich auch nicht darum, welch Wesen oder Weise Gott jemand anderm gebe. Wär ich dermaßen gut und heilig, dass man mich unter die Heiligen erheben müsste, so redeten die Leute und forschten hinter mir drein, ob es ,Gnade’ oder ,Natur’ sei, was in mir steckt, und kämen nie ins Reine. Wie verkehrt von ihnen! Lass Gott doch schalten in dir, dem gib das Werk; und kümmre dich nicht, ob er’s ,natürlich’ oder ,übernatürlich’ zuwege bringe. Beides ist, Natur wie Gnade, sein. Was geht’s dich an, womit’s ihm passt zu wirken in dir oder einem andern? Mag er doch sehen, wie und wo und auf welche Weise.

Irgendwer hätte gern eine Quelle in seinen Garten geleitet; er sagt sich: „Damit ich Wasser bekomme, da schiert’s mich nicht im Mindesten, welcher Gattung die Rinne ist, durch die’s mir zufließt: ob eisern, hölzern oder beinern, ob rostig oder blank; wenn ich nur Wasser kriege.“ So tun auch die gar verkehrt daran, die sich damit beschweren, wodurch wohl Gott seine Werke zustande bringt in dir, ob durch ,Natur’ oder durch ,Gnade’. Lass ihn nur machen und hab alleine Frieden.

Denn so weit bist du in Gott, als du im Frieden bist; und so weit außer Gott, als außerm Frieden. Ist etwas in Gott, dasselbe hat Frieden: Soweit in Gott, soweit in Frieden. Daran ermiss jeweils, wie weit du in Gott bist, und andernfalls, wo du Frieden, wo Unfrieden zu suchen hast. Wofern du Unfriedliches hast, muss dir auch notgedrungen unfriedlich sein: Unfriede kommt von der Kreatur, nicht von Gott. Auch gibt es nichts in Gott, das zu fürchten wäre: Alles, was in Gott ist, ist allein zu lieben. Und so gibt es auch nichts in ihm, worüber zu trauern wäre.

Wer allen seinen Willen hat und Wunsch, der hat Frieden. Das hat niemand, denn dessen Wille mit Gottes Willen völlig eins ist. Diese Einswerdung gebe uns Gott. Amen.

Reden der Unterweisung